Wir sind ja nicht zum Spaß hier von Deniz Yücel

Manchmal verändern mich Zeitungsmeldungen und ich werde für ein bestimmtes Thema achtsamer. Das kommt nicht sehr häufig vor, zuletzt als am 16. Februar 2018 gemeldet wurde, dass der Journalist Deniz Yücel aus seiner Haft freigelassen wurde. Ich habe mich aufrichtig gefreut, auch wenn ich diesen Mann nicht kenne. Ich habe erst durch seine Festnahme am 14. Februar 2017 erfahren, dass er überhaupt existiert. Nichtsdestotrotz habe ich gespannt die Nachrichten verfolgt, wenn es um ihn ging. Für mich ging es dabei nie um ein Einzelschicksal, denn es gibt noch so viele andere inhaftierte Journalisten, deren Namen ich nicht kenne. Es werden Journalisten und Blogger wegen ihrer Artikel eingesperrt und damit betrifft es auch mich. Und es betrifft mich als Mensch, der ein Interesse an wahren und gut recherchierten Nachrichten hat. Als Mensch, der informiert sein und Anteil an der Welt nehmen möchte. Genau deshalb betrifft mich Deniz Yücel.
Wir sind ja nicht zum Spaß hier
Bei der Edition Nautilus erschien am Jahrestag von Deniz Yücel Inhaftierung ein Buch mit gesammelten Reportagen, Artikeln und Satiren von ihm. Das Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ hat aktuell ein paar Lieferschwierigkeiten, aber ich bin mir sicher, dass bald jeder, der möchte auch ein Exemplar des Buchs kaufen kann.
Das Buch hatte mich von der ersten Seite an. Dort schildert Deniz Yücel eine Anekdote aus einem frühen Zeitungspraktikum. Sein Praktikumsbetreuer fragt ihn, warum er Journalist werden möchte. „Ich will Leute informieren.“ Dagegen setzte der Praktikumsbetreuer, dass 90 % Journalist werden, weil sie ihren Namen in der Zeitung lesen wollen. Dieser Satz hat mich so sehr provoziert und beschäftigt, dass ich das Buch umgehend kaufen musste, als ich ihn im Buchladen gelesen habe. Kaum daheim angekommen, begann ich mit dem Lesen der Textsammlung.
Die Artikel in „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ sind vielseitig. Es gibt Artikel über Politik und Fußball. Guter Journalismus ist ebenfalls ein Thema für Deniz Yücel. Und darüber hinaus gibt es noch Artikel, die mich als Leser sehr bewegen, dann schreibt Deniz Yücel über seine Erfahrungen mit Rassismus, die Zustände in der Türkei oder über seine Haftbedingungen.
Journalismus als Straftat
Noch lange Zeit in Erinnerung bleiben wird mir, wie es Deniz Yücel gelang, einen Artikel über seine Haftbedingungen im Februar 2017 zu schreiben. Während der Haft gab es kein Papier und keinen Stift, schließlich war das Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen. Zunächst versuchte er auf dem Papier einer Ausgabe von „Die Haltlosen“ von Oguz Atay mit einer Plastikgabel und der Soße seiner Konservendosen, etwas zu schreiben. Logischerweise kam er mit dieser Technik nicht sonderlich weit. Wenige Tage später hatte er die Gelegenheit, bei einem Arztbesuch einen Stift zu klauen und in seine Zelle zu schmuggeln. Von seiner Frau Dilek hatte er eine türkische Ausgabe des kleinen Prinzen bekommen. Durch die Illustrationen im Buch blieb zum Glück viel Weißraum und so konnte er schreiben. Das Buch selbst wurde dann im Beutel seiner dreckigen Wäsche unwissentlich von seinem Anwalt aus dem Gefängnis geschmuggelt. Es ist der kleine Triumpf des Einfallsreichtums gegen die große Ungerechtigkeit.
Mehr beeindruckt hat mich nur der letzte Text von „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“, dessen Inhalt ich an dieser Stelle aber nicht wiedergeben möchte. Es ist ein komplexer Text, der viele Einzelheiten erfordert und der einfach so gut ist, dass er im Original gelesen werden muss. Mit „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ habe ich sehr viel über die Türkei, aber eben auch über guten Journalismus gelernt. Die Artikel von Deniz Yücel bewegen mich auf so vielen Ebenen und geben mir genug Denkstoff für die nächsten Monate.
Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Edition Nautilus. ISBN: 978-3960540731. 224 Seiten. 16,00 €.
Weitere Rezensionen auf anderen Blogs
Oh ja, das Buch kommt auf ihren Fall auch auf meine Liste! Obwohl ich die Texte von Deniz natürlich seit frühen Jungle-Tagen kenne. Schade, dass ein solches Buch ohne die unmögliche Haft wohl undenkbar geblieben wäre…
In den letzten Tagen habe ich auch diesen Gedanken oft gehabt. Seltsam, wie manchmal die äußeren Umstände erst manchen Menschen Gehör verschaffen. Ohne die Festnahme wäre Deniz Yücel nie so bekannt geworden wie jetzt. Jeder kennt seinen Namen in Deutschland.
Das ist ja ein recht generelles Merkmal des spektakulären Kapitalismus. Egal wie gut ein Werk ist, erstmal braucht es Aufmerksamkeit. Nur hätten Deniz auf diese wohl eher verzichtet. Auch bei dem starken Schriftsteller Bachtyar Ali habe ich mich kürzlich gefragt, ob er ohne die Bedrohung der Kurden in Syrien überhaupt in den Fokus gerückt wäre…