Wie ich mit dem Buch „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling kurz in meine Zukunft geblickt und mich erschrocken habe

Nachdem ich das Buch „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling ausgelesen und zugeklappt hatte, konnte ich erstmal nicht aufstehen. Der Schock saß tief in meiner Brust und lähmte mich. Ein Buch lähmte mich! Vielleicht ist es ein bisschen verrückt, dass mir eine Geschichte so nah geht. Einerseits suche ich immer nach Büchern, die mich fesseln, mir etwas geben und mich Gefühlen und Gedanken aussetzen, andererseits war es mir bei „Super, und dir?“ schon fast zu viel. Die Protagonistin Marlene Beckmann ist mir in entscheidenden Dingen so ähnlich, dass ich phasenweise das Gefühl hatte, Kathrin Weßling zeigt mir in diesem Buch meine eigene Zukunft und die ist nicht gerade schön.
Super, und dir?
Marlene ist mit ihrem Marketingstudium fertig. Sie hat sich gegen andere Bewerber durchgesetzt und eine der begehrten Volontariatsstellen im Community Management eines großen Konsumgüterunternehmens bekommen. Auch in ihrem Privatleben ist alles super – sie hat einen lieben und treuen Freund. Ihre Eltern sind geschieden, aber das ist so ungewöhnlich nun auch nicht. Eigentlich ist es ein Traumleben, dass sich jeder wünscht. Aber eben auch nur eigentlich. Immerzu antwortet Marlene, wenn sie gefragt wird, wie es ihr geht, reflexartig: „Super, und dir?“ Aber die Wahrheit sieht anders aus, denn so ziemlich jedes Mal lügt sie und nichts ist wirklich super oder auch nur ansatzweise gut.
Zu Beginn des Buchs „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling schildert Marlene ihren ersten Arbeitstag als Volontärin. Sie müsste glücklich-euphorisch sein, aber sie ist es nicht. Es begann damit, dass Marlene sich nicht getraut hat, allein etwas essen zu gehen. Keiner ihrer Kollegen hat sie zur Mittagszeit mit in die Kantine genommen und auch sonst kennt sie hier keinen, den sie fragen könnte. Stattdessen steht sie auf und geht raus. Ein bisschen spazieren, rauchen, ihre Mutter anrufen. Aber selbst ihrer eigenen Mutter kann sie nicht sagen, wie sie sich wirklich fühlt. Es ist als ob sie ansetzt, um die Wahrheit zu sagen und dann verfällt sie doch in Schweigen. Diese Szene setzt sich durch das gesamte Buch fort. Immer wieder wird Marlene nicht gehört. Es ist schlicht eine Lüge, die uns immer wieder erzählt wird: Nur weil wir uns immer mehr anstrengen, wird nicht automatisch alles gut. Es ist nicht unbedingt unsere Schuld, wenn etwas schiefgeht. Aber diese Doktrin zu durchbrechen, ist schwer.
Casper singt „Der Druck steigt!“
Im ersten Drittel des Buchs „Super, und dir?“ habe ich mich noch gefragt, warum sagt Marlene nicht einfach, was sie bedrückt? Aber so einfach ist das eben nicht in einer Gesellschaft, die oberflächlich ist und in der Leistung über allem steht. Der Zwang, den schönen Schein zu wahren, ist so groß, dass Menschen daran zu Grunde gehen. Sehr bezeichnend dafür fand ich die Stelle, als Marlene, die andere Volontärin Maja und ihr Chef noch auf eine After-Work-Party gingen. Maja hat ein bisschen zu viel getrunken und der Chef meint dann zu Marlene, dass sie ohnehin einmal überlegen müssten, wie es mit Maja weitergeht, wenn sie sich so gehen lässt. Es ist übrigens nicht so, dass Maja nackt auf dem Tisch getanzt oder sich sonst absolut blamiert hätte.
Gleich nach der Aussage über Maja impft der Chef Marlene noch ein, dass es im PR oder Marketing kein „privat“ gibt, denn schließlich sind sie das Gesicht der Firma. Es ist eine Warnung an Marlene und damit steigt der Druck noch höher. Immer wieder habe ich bei manchen Szenen im Buch Casper im Ohr, wie er singt „Der Druck steigt, Atem blockiert / Wir scheitern immer schöner, sind Versager mit Stil“. Marlene hat ziemlich bald kaum noch ein Privatleben. Sie macht Überstunden ohne Ende für sinnlose Präsentationen, bei denen sich ohnehin ihr Chef den Ruhm einstreicht. Sogar ihren Urlaub verschiebt sie auf Bitte ihres Chefs und ihr Freund fliegt allein. Der Druck wird größer als Marlene.
3 interessante Zitate aus „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling
Die Müdigkeit ist so groß, dass sie ein Teil von mir geworden ist. (Seite 51)
Wir waren Marketing-Studenten, unsere ganze Existenz gründete sich darauf, jeden noch so absurden Quatsch als etwas von Wert zu verkaufen. (Seite 22)
Dass die ganzen Lifestyle-Magazine jungen Frauen immerzu sagen, dass wir nur endlich herausfinden müssen, womit wir glücklich sind, und dann ist alles toll. Dass genau diese Magazine davon leben, dass das absolut unmöglich ist. (Seite 46)
Marlene und ich
Womöglich fragst du dich mittlerweile, was Marlenes Geschichte mit mir zu tun hätte. Vielleicht nicht unbedingt etwas, denn so wie Marlene muss es nicht auch mir ergehen. Ich studiere genau wie Marlene Marketing und bin mit meinem Studium fast am Ende, denn nur noch die Masterarbeit ist offen. Wenn alles nach Plan verläuft, dann bin ich im Herbst mit meiner Abschlussarbeit fertig. Danach muss ich mich bewerben und mir meine erste Vollzeitstelle in meinem Leben suchen. Auf ein Volontariat bin ich nicht aus, aber Marlene und ich sind an der gleichen Stelle im Leben und unsere allgemeine Situation ist ebenfalls recht ähnlich. Deshalb geht mir „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling so nah, denn das Lesen fühlte sich wie eine Prophezeiung an, die wahr wird, wenn ich nicht aufpasse. „Super, und dir?“ ist buchgewordene Warnung und schmerzhafter Kinnhaken zugleich.
Kathrin Weßling: Super, und dir?. Ullstein Fünf Verlag. ISBN: 978-3961010103. 256 Seiten. 16,00 €.
Weitere Rezensionen auf anderen Blogs
ein spannendes Buch
https://literaturgefluester.wordpress.com/2018/05/10/super-und-dir/@@@
Hallo, das klingt sehr interessant! Bei mir war das viele Jahre auch ein Reflex, auf Nachfrage immer zu behaupten, wir ginge es großartig. Ich habe mich ebenfalls unter Druck gesetzt gefühlt, dem Leistungsanspruch anderer stets zu genügen. Bei mir ist das Kartenhaus erst dann eingestürzt, als meine Gesundheit den Bach runterging und ich mit Mitte 20 die Diagnose Multiple Sklerose bekam. (Womit ich inzwischen meist gut leben kann.) Im Nachhinein glaube ich, dass ich aus diesem Zyklus viel früher ausgebrochen wäre, auch ohe chronische Krankheit, hätte ich ihn früher hinterfragt. Insofern hast du da gute Karten, finde ich, weil du… Weiterlesen »
Hallo Mikka,
danke für deine aufmunternden Worte. Ich hoffe, dass ich sensibel genug bin, um in diese Falle nicht zu tappen. Das wird aber wohl nur die Zeit zeigen. 🙂
Viele Grüße!
Janine
Hey Janine, schöne Rezension und auch die Bilder dazu gefallen mir echt gut. Mich hat „Super, und dir?“ beim Lesen auch sehr bewegt und ich habe mich ebenfalls darin wiedergefunden. Ich finde das Buch sehr wichtig, eben weil es aufrüttelt und auch für die Thematik sensibilisiert. Und genau das brauchen wir zwischen all den Karrieretipps und der Selbstoptimierung. Hoffentlich klingt das jetzt nicht komisch, aber schön, dass es dich etwas für das Thema sensibilisiert hat. Ich glaube, wenn man sich der Risiken bewusst ist, dann gelingt es einem auch besser damit umzugehen und gegebenenfalls früher einen anderen Weg einzuschlagen. Liebe… Weiterlesen »
Liebe Julia,
ich hoffe, diese Sensibilisierung reicht für mich. Gerade in letzter Zeit denke ich wieder stärker an meinen Berufseinstieg ab Herbst. Ich mache mir Gedanken darüber, was ich wirklich tun möchte und wofür ich meine Fähigkeiten sinnvoll einsetzen kann.
Viele Grüße,
Janine
Hallo liebe Janine, ich habe tatsächlich ein bisschen Angst davor, dieses Buch zu lesen, obwohl es mich intessiert. Aber ich entdecke auch sehr viele Ähnlichkeiten zu mir – geschiedene Eltern, langjähriger Freund, Marketing-Studium und immer die Aussage: Mir geht es gut. Ich glaube die Frage „Wie geht es dir?“ ist ja reine Höflichkeit um ein Gespräch einzuleiten. Niemand will wirklich die Wahrheit hören … Aber es ist auch wie du sagst – noch haben wir das Leben selbst in der Hand und können wir vielleicht gegensteuern und aufpassen, dass es uns hoffentlich nicht so ergeht, wie Marlene 🙂 Alles Liebe,… Weiterlesen »
Liebe Ela,
mich würde wirklich sehr interessieren, was du zum Buch sagst, wenn du es gelesen hast. Wir sind uns ja auch recht ähnlich.
Viele Grüße,
Janine
Wenn ich es geschafft habe, das Buch zu kaufen und zu lesen, dann lasse ich es dich wissen. Ich denke nämlich auch, dass wir uns da sehr ähnlich sind 🙂
Alles Liebe, Ela
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Hallo Janine,
ohja, ähnliches habe ich vor einigen Jahren mitgemacht. Der Erfolgsdruck steigt immer mehr und meistens merkt man es zu spät, wenn man vollkommen ausgelaugt ist und sich immer mehr von sich selbst aufgibt.
Mittlerweile ist bei mir der Erfolgsdruck raus, privat wie beruflich. Ich muss niemanden irgendwas beweisen und es gibt definitiv noch ein Privatleben!
Ich finde solche Bücher so wichtig! Die müssen echt gelesen werden!
Liebe Grüße Anett
Hallo Anett,
wie hast du das geschafft, dass du keinen Druck mehr hast? 🙂
Viele Grüße,
Janine
Ich habe ihn bewußt raus genommen und mich um eine andere Arbeit gekümmert. Das war das Beste für mich und meine Gesundheit, obwohl ich meinen Job echt gerne gemacht hatte. Aber 60 und mehr Stunden die Woche, nur aufrecht erhalten durch Kaffee u.ä. war einfach irgendwann nicht mehr drin.
Liebe Grüße Anett.
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