Wenn ich nicht gerade schreibe, dann schreibe ich. – Interview mit Kia Kahawa

Zum ersten Mal habe ich Kia Kahawa auf em Treffen eines Schriftsteller-Vereins im vergangenen Jahr auf der Leipziger Buchmesse erlebt. Ich hatte mich zu diesem Treffen aus Neugier verirrt, weil ich wissen wollte, was das für Menschen sind und was diese bewegt. Ziemlich schnell habe ich gemerkt, dass sich die Gruppe aus Autorinnen und Autoren zusammensetzte, die teilweise schon etwas veröffentlicht hatten oder noch wollten. Viele waren davon Selfpublisher. Buchblogger wie ich halten gern Abstand zu Selfpublishern, weil wir täglich mit ziemlich seltsamen Anfragen von einigen Selfpublishern überschwemmt werden. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen! Ich freue mich, mit Kia Kahawa über das Thema Selfpublishing, ihre Crowdfunding-Kampagne und Literatur sprechen zu können.
Über das Schreiben und Veröffentlichen von Büchern
Kia, du bist Autorin. Wie kam es dazu?
Hallo Janine! Danke, dass du mich interviewst. Ich schreibe total gerne und schon sehr lange. Nachdem das Schreiben nach der Grundschulzeit aus meinem Fokus geraten ist, weil mir Piper für mein erstes 60-seitiges Buch, das ich mit 10 geschrieben habe, abgesagt hat, bin ich etwa 2013 wieder darauf gekommen. Piper war damals der einzige Verlag, den ich kannte, oder mein Lieblingsbuch kam von dem Verlag; ich weiß es gar nicht mehr. Ich habe mit einem Ratgeber angefangen und habe den einfach bei Kindle Direct Publishing reingeworfen. Dann habe ich zum ersten Mal gesehen, dass man als Selfpublisher sehr leicht Geld verdienen kann und habe die Schwelle zum belletristischen Schreiben mit ernsten Absichten überwunden. Ja, ich denke, so lässt sich das zusammenfassen.
Warum schreibst du unter Pseudonym? Was bedeutet Kia Kahawa?
Kia Kahawa ist mein Name. Der Name, den ich selbst gemacht habe. Das Pseudonym steht für alles, was ich mir selbst aufgebaut habe. Mein Klarname hat im Internet nichts zu suchen, und ich war schon als Teenager nur unter Pseudonym unterwegs. Das hat angefangen als ein Nicht-gefunden-werden-wollen und ist heute eben dieses „Ich bin, was ich mir aufgebaut habe“. Kahawa ist Suaheli und heißt Kaffee. Das kommt noch aus meiner Abitur-Zeit, in der ich neben der Schule arbeiten musste, um mir Nachhilfe in Physik zu leisten und mich noch fünf, sechs Stunden am Tag zusätzlich auf mein Musikstudium vorbereitet habe. Da habe ich eine Kanne Kaffee am Tag getrunken. Das mache ich natürlich heute nicht mehr – und wenn ich Kaffee trinke, ist er koffeinfrei.
Was wolltest du als Kind werden?
Alles! Ich wollte Archäologin, Schriftstellerin, Fotografin, Künstlerin, Millionärin, Reisebloggerin und Musikerin werden. Die Betonung liegt hier auf dem „und“ – ich wollte immer alles und zwar sofort. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich heute so viele Interessen und Hobbies habe und auch dass mein Beruf eigentlich aus drei Berufen besteht.
Über welche Themen schreibst du? Was hast du bisher veröffentlicht?
Ich schreibe einerseits Entwicklungsromane, in denen die Protagonisten ihre eigenen Antagonisten sind, und andererseits Utopien, die auch ein bisschen dystopisch sein müssen. Veröffentlicht habe ich bisher nur „Die Krankheitensammlerin“, meinen Debütroman im Selfpublishing. Aber ich habe für „Irre sind menschlich“ einen Verlag und der Roman wird im März 2019 rauskommen. Insgesamt veröffentliche ich mal bei Verlagen und mal im Selfpublishing. Gerade liebäugele ich auch mit einem Selbstverlag. Unter’m Strich würde ich sagen, ich bin Hybridautorin durch und durch.
Warum wurdest du zur Hybridautorin?
Das war keine aktive Entscheidung. Ich wollte schon immer bei Verlagen veröffentlichen. Als ich aber zum Schreiben kam, habe ich gemerkt, wie einfach es ist, im Selfpublishing erstes Geld zu verdienen. Die Krankheitensammlerin war ein Projekt, das ich nach eigenen Vorstellungen „ins Blaue hinein“ machen wollte. Der zweite Roman sollte da schon größer werden und ab dann wollte ich zum Verlag. Für „Hanover’s Blind“ hatte ich drei Zusagen von Verlagen, aber die Bedingungen gefielen mir nicht. Ich sollte die Novelle aufblähen, eine Reihe daraus machen oder ein bestimmtes Thema in den Vordergrund holen. Das wollte ich nicht, und da habe ich mich aktiv dazu entschieden, mein eigenes Ding zu machen. Ob ich auf Dauer Selfpublishing neben meinen Verlagswerken beibehalte, lasse ich mir allerdings offen. Ich mag es, Entscheidungsgewalt zu haben, aber ich mag es auch, einem Verlag die Risiken, Haftung und Investitionen zu überlassen.
Was ist dein aktuelles Buchprojekt? Worum geht es und wie kam es zur Buchidee?
Mein aktuelles Projekt heißt „Hanover’s Blind“. Es geht um den sehbehinderten Studienabbrecher Adam, der nach Hannover immigriert, um ein Leben auf eigenen Beinen aufzubauen und sich dabei nicht nur mit dem geringsten Übel zufrieden zu geben. Auf die Idee kam ich im Tanzkurs. Ich habe meinen Partner immer geführt. Also ich habe „gegen ihn“ geführt und wir standen uns sehr im Weg. Die Tanzlehrerin hat mich in einer Privatstunde gezwungen, blind zu tanzen. Und dann musste ich meinem Partner vertrauen und plötzlich funktionierte alles. Daraufhin kam dann die Idee, etwas über Sehbehinderung oder Blindheit zu schreiben und dabei zu betonen, dass diese Behinderung nicht immer nur einschränkend ist.
Warum gerade Crowdfunding?
Im Selfpublishing hat man ein hohes Risiko. Ich habe nicht die Mittel, dreitausend Euro zu investieren, um mein neues Projekt einfach so rauszubringen. Natürlich kann ich die Mittel zur Seite legen, indem ich ein Jahr jeden Monat Geld zurücklege und „Hanover’s Blind“ dadurch finanziell selbst veröffentlichen. Aber Crowdfunding ist viel mehr. Wenn mich Blogger unterstützen, kommt natürlich Kontakt zustande. Das stärkt extrem und geht über schlichtes Networking hinaus. Ich mag Win-Win-Situationen total gerne und schätze die Menschen, die hinter den Blogs stecken, sehr. Wir unterstützen uns gegenseitig. Durch die Crowd, die hinter meinem Projekt steht und es (mit-)finanziert, sehe ich, dass das Buch überhaupt markttauglich ist. Jeder Unterstützer ist ein potentieller Fan und Leser, und so verkaufe ich quasi bereits Bücher, bevor „Hanover’s Blind“ veröffentlicht ist. Dieser Marketingeffekt geht nicht nur in die Kalkulationssicherheit, sondern hebt auch mein Selbstwertgefühl extrem.
Worin liegen die besonderen Schwierigkeiten im Selfpublishing?
Die Schwierigkeiten liegen im Marketing und in den Investitionen. Als Selfpublisher geht man in Vorleistung und investiert einen vierstelligen Betrag, um das Werk professionell auf den Markt zu bringen. Schwierig finde ich tatsächlich die Arbeit mit den Distributoren. Man hat eine Plattform, auf der man sich die Bücher on Demand holen kann und bezahlt dabei sehr viel für die Eigenexemplare. Im Grunde ist Selfpublishing eine Fusion der Nachteile des Selbstverlags und der Nachteile eines Verlagsvertrags. Das klingt jetzt vielleicht pessimistisch, aber natürlich gibt es einige viele Vorteile, die die kombinierten Nachteile überwiegen. Beispielsweise verdient man im Selfpublishing ähnlich wenig wie bei einem Verlag. Schon doppelt so viel, aber es ist immer noch ein Bruchteil dessen, was man mit einem Selbstverlag verdienen könnte. Im Gegensatz zu einer Verlagsveröffentlichung hat man im Selfpublishing die bereits genannten Investitionen. Es ist ein höheres Risiko, als wenn man beim Verlag ist.
Wie machst du als Autorin auf dich aufmerksam? Was funktioniert und was funktioniert nicht?
Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Ahnung. Beziehungsweise habe ich noch keine Zeit gehabt, auf mich aufmerksam zu machen. Ich bin auf Twitter und meinen Blogs aktiv und erreiche so andere Autoren. Im B2B-Bereich werde ich dadurch Schritt für Schritt bekannter. Was nicht funktioniert: Durch Social Media Leser erreichen. Facebook soll da der Geheimtipp sein, aber ich hatte da bisher noch keine Zeit und Muße gehabt, mich damit auseinanderzusetzen. Das wird diesen Sommer anders. Was ich am Ende des Jahres zu berichten habe, bleibt abzuwarten.
Was sollten Autoren deiner Meinung nach niemals tun?
Alles, was ich falsch gemacht habe!
Ich hätte es schön gefunden, wenn mir jemand in meinen Anfangszeiten gesagt hätte, was man alles falsch machen kann. Die Liste der Dinge, die Autoren niemals machen sollten, ist lang, und ich habe fast jeden Fehler selbst begangen. Beispielsweise sollte man niemals in Shoutout-Twitter-Accounts investieren. Da bezahlt man Geld dafür, dass jemand dein Buchcover mit Link auf seinen Kanälen bewirbt. Klassische „Kauf das Buch!!!“-Werbung. Die ist nur nervig und solche Accounts bestehen nur, um zielgruppenlos irgendwelche Bücher zu „promoten“. Was man auch niemals tun darf: Ein Buch unlektoriert veröffentlichen. Das verbrennt den Namen und tut nicht gut. Oder sich einem Autorenverein anschließen, der nur Zeit frisst und keinen Nutzen hat.
Noch schlimmer: Kostenlos arbeiten. Das geht gar nicht. Liebe Autoren, haltet niemals eine kostenlose Lesung. Schreibt keine kostenlosen Beiträge, es sei denn, es sind eure Gastartikel. Betreibt keinen Linktausch und verschenkt nicht Rezensionsexemplare an Buchblogger, deren Zielgruppe und Reichweite nicht für euch stimmt. Lektoriert nicht kostenlos, es sei denn, ihr seid Testleser. Coacht niemanden ohne dass ihr euch dafür entlohnen lasst, es sei denn, ihr macht Leistungsaustausch und seid in einer Win-Win-Situation. Ich habe dahingehend mein Lehrgeld bezahlt und 2017 regelmäßig kostenlose Arbeit im Wert von locker einer Monatsmiete jeden Monat geleistet. Die Buchbranche ist kaputt und muss in gewisser Weise repariert werden. Ach, und – unterschreibt niemals irgendeinen Verlagsvertrag, ohne ihn zu verhandeln.
Inspiration
Wo findest du deine Ideen für Bücher?
Überall. Die Ideen finden eher mich. Mit meinem Co-Autor Florian Eckardt beispielsweise schreibe ich an einer dystopischen Utopie „Der Abschalter“. Die Inspiration für diese Idee war nur ein makaberer Artikel über eine Wachs-Oma, die nach dem Tod nicht zersetzt wurde, sondern wegen der im Leben aufgenommenen Chemikalien im Sarg konserviert wurde.
Oder ich beobachte Menschen, gerate in Situationen und spinne mir alternative Wege zurecht, wie es dazu kommen konnte. Oder – ganz klassisch – ich stehle Ideen. Das ist völlig normal unter Künstlern. Wir Autoren müssen das Rad nicht neu erfinden. Die Idee eines sehbehinderten Protagonisten, der seine Behinderung verheimlicht, ist nicht neu. Inspiriert wurde ich durch „Mein Blind Date mit dem Leben“, nachdem ich meine Tanzkurs-Idee hatte. Insgesamt wurde dann daraus eine Geschichte, und ich bin sicher, durch die ca. 17 Dokus, die ich gesehen habe, habe ich die ein oder andere Idee „geklaut“ und für mich übernommen. Wichtig ist beim Ideenraub, dass man sie sehr deutlich selbst einfärbt und völlig neu umsetzt. Das ist, als würde ich die Idee eines Steuerrads eines Piratenschiffs stehlen und daraus den Reifen für mein Fahrrad basteln.
Was machst du, wenn du nicht gerade schreibst?
Wenn ich nicht gerade schreibe, dann schreibe ich. Hauptberuflich bin ich Werbetexterin mit dem Schwerpunkt auf Online Content. Ich schreibe für insgesamt fünf Redaktionen derzeit etwa 35.000 Worte im Monat für neurolinguistische Programmierung und für Brettspiel-Rezensionen. Außerhalb allem, was mit dem Schreiben zu tun hat, drehe ich gerade an meinem kleinen Lebenswerk, ein Film, der nächstes Jahr rauskommen wird, oder ich coache andere Autoren. Mit meinem Wissen über Exposés und darüber, wie man eine Lesung vorbereitet, kann ich meinen Kollegen und Kolleginnen gut helfen. Das alles macht insgesamt meinen Beruf aus – neben E-Mail-Verkehr, Planung, Marketing, Fernstudium und meinen derzeit wöchentlichen Geschäftsreisen.
Hast du literarische Vorbilder? Welche?
Ich sag’s mal so: Ich würde gerne solche Charaktere schreiben wie Becky Chambers, eine Plotumsetzung haben wie Neal Shusterman und einen Schreibstil wie François Lelord und eine Plotstruktur wie Ernest Cline. Das wäre in meinen Augen dann das eierlegende Wollmilchbuch.
Welches Buch beschäftigt dich gerade ganz besonders und warum?
Gerade beschäftigt mich „Hanover’s Blind“, weil es mein Baby ist und ich Tag und Nacht daran arbeite. Aber das wolltest du vermutlich nicht wissen. Derzeit beschäftigt mich „Hochbegabt?“ von Elaine Reichardt, weil ich es einerseits rezensieren möchte und andererseits seit einigen Jahren schon glaube, dass meine Hochbegabung eine Einschränkung und keine Befähigung ist. Daher lese ich es gerade ein bisschen aus Selbsthilfe-Impulsen.
Die letzte Frage: Welches Buch sollte ich unbedingt lesen?
„Scythe“! Die Scythe-Trilogie ist wirklich umwerfend. Und wenn du auf tolle Charaktere und Beziehungen stehst, dann „Der lange Weg zu einem zornigen Planeten“. Wenn du den Sinn des Lebens verstehen willst, natürlich „The Why-Café“. Aber auch „Schwimmen ohne nass zu werden“ oder „Ready Player One“ kann ich uneingeschränkt empfehlen. Habe ich schon erwähnt, dass ich wegen der ganzen Crowdfunding-Arbeit keine Zeit mehr zum Lesen habe? Es fehlt mir sehr, und daher kann ich mich hier definitiv nicht auf eins beschränken, weil ich gerade am liebsten die Welt anhalten und sieben Tage durchgehend lesen würde. 😊
Vielen Dank für das Interview!
Vom 01. Juni bis 10. Juli läuft das Crowdfunding zu Kias neuer Novelle „Hanover’s Blind“. Du kannst die Umsetzung ihres Projektes auf https://www.startnext.com/hanovers-blind unterstützen.
[…] 28.6 folgt Janine, die uns etwas zum Thema „Schreiben und Veröffentlichen von Büchern“ erzählen […]