Was wir von Elena Ferrante über Freundschaft lernen können

Zu Beginn des ersten Bandes von Elena Ferrantes Neapolitanischen Saga hätte ich niemals gedacht, dass ich alle vier Bände der Reihe lesen würde. Ich war regelrecht irritiert vom Medienhype, aber mehr noch als der Hype, hat mich das Wort Freundschaft in Verbindung mit dem Buch verunsichert. Die Geschichte von Elena und Lina sei die Geschichte einer großen Freundschaft, aber ich konnte diese Freundschaft im ersten Band nirgends entdecken.
Und es ist doch Freundschaft
Mittlerweile, also nach vier Bänden, bin ich klüger: Elena Ferrante hätte nur gelangweilt, wenn sie die Freundschaft zwischen Elena und Lina als perfekte und unzertrennbare Harmonie beschrieben hätte. Denn es ist wie in der Realität, wahre Freundschaft zeigt sich nicht an der Oberfläche. Elena und Lina lernten sich in der Grundschule kennen. Lina war das mutige und freche Kind, das vor nichts zurückschreckte – nicht einmal vor der Lehrerin Maestra Oliviero. Das faszinierte Elena natürlich und sie bewunderte Lina für ihren Freigeist und ihre Dreistigkeit. Es dauerte nicht lange, dann entspann sich ein Wettbewerb, wer die Klügere von beiden ist.
Diesen Wettbewerb legten Elena und Lina auch im Erwachsenenalter nicht bei. Immerzu mussten sie sich vergleichen: Bei ihren Berufen, bei ihren Ehemännern und auch bei ihren Kindern. Es kommt mir so vor, als ob die beiden Figuren sich mit diesen Vergleichen in ihrer Identität verorten. Als ob sie ohne die andere nicht wüssten, wer sie waren. Elena und Lina brauchen einander, das wurde mir erst mit dem Lesen des dritten Bandes klar.
Was wahre Freundschaft ist
Es ist eine Freundschaft, in der man sich auch kritisieren kann, ohne dass sie zerbricht und damit ist diese Beziehung stärker als andere. Manchmal helfen Elena und Lina sich sogar gegenseitig – genau immer dann, wenn es besonders schlimm um eine der beiden Frauen steht. In diesen Momenten blitzen Harmonie und Solidarität auf, aber Elenas und Linas Freundschaft beruht nicht darauf und das ist erfrischend zu lesen. Es muss eben nicht immer alles unzertrennliche Heiterkeit sein und dieser Gedanke hilft mir sehr. Vor diesem Hintergrund ist es auch kein Problem, wenn sich Freunde einmal für längere Zeit nicht sehen, denn das Leben ist komplex und driftet manchmal auseinander. Wichtig ist nur, dass man sich nie gänzlich aus den Augen verliert.
Solch eine Freundschaft ist natürlich anstrengend, denn die Pflege macht Arbeit. Es ist aufwändig, sich mit dem Leben einer anderen Person zu beschäftigen und Kontakt zu halten. Aber dürfte ich zwischen der Freundschaft zwischen Elena und Lina und einer ganz netten, aber oberflächlichen Freundschaft wählen, dann würde ich mich immer für eine wie zwischen Elena und Lina entscheiden.
Die Neapolitanische Saga von Elena Ferrante beinhaltet die Teile „Meine geniale Freundin“, „Die Geschichte eines neuen Namens“, „Die Geschichte der getrennten Wege“ und „Die Geschichte des verlorenen Kindes“. Alle Bände sind im Suhrkamp Verlag erschienen.
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