Warum „Wie hoch die Wasser steigen“ von Anja Kampmann kein Buch für mich ist

Manche Bücher lese ich, aber sie kommen nicht bei mir an. Ich verstehe sehr wohl, was auf den Seiten steht und ich sehe auch beispielsweise die Schönheit der Sprache, aber all das mag bei mir nichts auszulösen. Ich habe keine Empfindungen. Eines dieser Bücher ist „Wie hoch die Wasser steigen“ von Anja Kampmann.
Wie hoch die Wasser steigen
Wenzel arbeitet auf einer Ölplattform. Das Leben dort zeichnet sich aus durch harte Arbeit und schwere Stürme. Es ist ein entbehrungsreiches Leben und ich hätte es mir nicht ausgesucht. Gemeinsam mit seinem Freund Matyás teilt er sich eine Kabine. Matyás gibt Wenzel Halt im Leben, doch dann stirbt er bei einem Unfall auf der Bohrinsel und seine Leiche wird nie gefunden. Was wird nun aus Wenzel, dem nun auch noch das Letzte im Leben genommen wurde? Er beschließt, zunächst nach Ungarn zu Matyás Eltern zu reisen. Wenzel bricht zu einer Reise zurück ins Leben auf.
„Wie hoch die Wasser steigen“ ist Anja Kampmanns Debütroman, zuvor erschien von ihr 2016 ein Lyrikband mit dem Namen „Proben von Stein und Licht“. Beim Lesen von „Wie hoch die Wasser steigen“ habe ich dem Buch angemerkt, dass es von einer Lyrikerin stammt, denn wer sonst könnte poetischere Sätze schreiben? Diese Art der Sätze war es letztendlich, die mich das Buch haben beenden lassen, auch wenn ich nie wirklich den Einstieg in Wenzels Schicksal gefunden habe.
Die schönsten Sätze aus „Wie hoch die Wasser steigen“
Ein riesiges Wesen hatte alles, was gestern war, fortgerissen. (Aus: „Wie hoch die Wasser steigen“ von Anja Kampmann, Seite 20)
Dann, etwas später, lief leise Musik auf der Straße, war das Dunkel noch immer gleich, war keiner mehr, der zum linken Schrank gehörte oder zu rechten, er stand auf, ging zum Fenster, dann hinaus, und blieb stehen an einer Stelle, an der die Gasse steil abfiel, lange, suchend. (Aus: „Wie hoch die Wasser steigen“ von Anja Kampmann, Seite 34)
Er sah sie fortgehen und sah ihr nach. Gerade jetzt, wo Lidia so zornig war und versuchte, sehr aufrecht davonzugehen, war ihr Schattenriss winzig unter den Bäumen. (Aus: „Wie hoch die Wasser steigen“ von Anja Kampmann, Seite 333)
Warum „Wie hoch die Wasser steigen“ kein Buch für mich ist
Diese schönen poetischen Sätze stehen im ganzen Buch. Auf fast jeder Seite findet sich so eine Perle der deutschen Sprache, nichtsdestotrotz hat mich „Wie hoch die Wasser steigen“ nicht gefesselt. An manchen Tagen musste ich mich zwingen zum Weiterlesen, aber da war eben auch die Neugier, welche Sätze sich Anja Kampmann noch hat einfallen lassen.
„Wie hoch die Wasser steigen“ ist ein sehr diffuses Buch. Es kann sehr gut die dumpfe Trauer, beziehungsweise den betäubten Schreck nach einer Katastrophe vermitteln, aber ich hatte trotzdem keinen Anteil an Wenzels Verlust. Die Satzstellung ist trotz ihrer Schönheit, manchmal nur schwer lesbar. Zehn Satzglieder werden von Kommata getrennt aneinandergereiht und dann soll der Leser noch wissen, was gerade die Aussage des Satzanfangs war. Das ist schwierig. Ebenso schwierig sind die vielen Figuren und Sprachen, die einfach so im Buch auftauchen. Schließlich gibt es keinen richtigen Erzähler. Die Geschichte passiert Wenzel wie das wahre Leben eben ohne Regieanweisungen passiert.
Anja Kampmanns Buch ist anstrengend zu lesen und es ist noch anstrengender, sich in der Geschichte zu recht zu finden. Beim Lesen habe ich keinen Halt in Wenzels Geschichte gefunden, aber vielleicht ist die Zeit für mich und „Wie hoch die Wasser steigen“ noch nicht gekommen.
Anja Kampmann: Wie hoch die Wasser steigen. Hanser Verlag. ISBN: 978-3446258150. 352 Seiten. 23,00 €.
Weitere Beiträge zum Buch
Videolesung auf Zeit.de
Ich finde deine Rezension mal wieder total gelungen. Obwohl es kein Buch für dich ist, hat es meine voll Aufmerksamkeit erreicht. Ich finde den Schreibstil wirklich interessant und das Ausgangsthema mit der Bohrinsel innovativ.
Ob mir das Buch wirklich gefallen würde, weiß ich nicht. Ich würde mich dann wohl so wie du, an der Sprache ergötzen.
Für mich hört sich das so an, als ob die Autorin eine gute Kandidatin für den Buchpreis wäre.
Denn unscheinbare und doch außergewöhnliche Themen + lyrische Sprache, scheint dort ein Erfolgsrezept zu sein.
Liebe Grüße, Anja
Hallo Anja,
ich denke auch, dass dieses Buch sehr preisverdächtig ist. Ich würde es ihm gönnen, trotz meiner Schwierigkeiten. Schließlich habe ich den Gewinner des letzten Jahres „Sie kam aus Mariupol“ auch nicht wirklich gemocht. 😉
Viele Grüße,
Janine
[…] Das ist doch mal eine interessante Herangehensweise und ein eine seltene Ausgangslage. Frau Hemigway hat das Buch schon gelesen und findet es zwar wenig aufregend, aber wunderschön lyrisch […]
Hallo Janine, eine sehr schön Rezension! Ich habe dieses „Problem“, keine Empfindungen für die Handlung zu haben, auch sehr häufig. meistens stört mich da nicht, aber ich kann nachvollziehen, dass es manchmal eben sehr wohl stört. Häufig geht es mir so bei traurigen Büchern. Es gibt Rezensionen, da steht dann zum Beispiel: Ich musste die ganze Zeit weinen etc. Und ich denke mir einfach nur: ja, es ist schon traurig und so. Aber so richtig emotional gestimmt hat mich das Ganze jetzt nicht. Manchmal frage ich mich dann, ob ich mich einfach nicht genug auf ein Buch einlassen kann. Liebe… Weiterlesen »
Manchmal braucht es eben erst den richtigen Leser für ein Buch. 🙂
Hallo Janine,
Du hast eine ganz gelungene Rezension verfasst und ich habe den Eindruck, das wäre auch kein Buch für mich. Nicht jeder Satz muss poetisch sein, man muss nicht in jeden Absatz was zum interpretieren findne können. Das wäre mir mit Sicherheit auch zu viel und es liest sich hier, als würde das die Story erdrücken.
Liebe Grüße
Chrissi
Hallo Chrissi,
es ist schwer zu sagen, ob die Sprache die Handlung erdrückt oder ob es ohnehin kaum echte Handlung gibt. Vielleicht beides. 🙂
Janine
[…] „Wie hoch die Wasser steigen ist ein sehr diffuses Buch. Es kann sehr gut die dumpfe Trauer, beziehungsweise den betäubten Schreck nach einer Katastrophe vermitteln, aber ich hatte trotzdem keinen Anteil an Wenzels Verlust. Die Satzstellung ist trotz ihrer Schönheit, manchmal nur schwer lesbar.“ (Frau Hemingway) […]
[…] Weitere Begeisterung findet ihr u. a. auf literaturleuchtet, Das graue Sofa und Zeilensprünge, nicht ganz überzeugt zeigt sich Frau Hemingway. […]
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