Warum Thomas Mann mein Lieblingsschriftsteller ist!

Die Familie Mann – eine Welt für sich
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat die Manns einmal als „die deutschen Windsors“ bezeichnet. Und wirklich – kaum eine andere deutsche Familie erregt immer wieder so viel Interesse (ok, zumindest bei Intellektuellen). Viel hat diese Familie erlebt, interkulturelle Heiraten, Glück und Unglück, Flucht und Emigration, Liebe und Hass. Ein Bilderbuch der Welt vereint in einer Familie.
Bedeutendster Vertreter der Familie Mann ist Thomas. Sohn eines lübischen Kaufmanns und einer brasilianisch-deutschen Mutter, verschlug es ihn nach dem Abitur nach München. Dort verkehrte er sehr bald in Künstlerkreisen und wurde anerkannter Schriftsteller. In seinen Werken spiegelt sich immer ein Widerstreit zwischen Künstlertum und Bürgertum wieder. Gelöst für sich hat er das Problem durch die Heirat mit Katia Pringsheim, der Tochter eines jüdischen Professors. Sechs Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, die alle auch wieder auf interessante Weise ihr Leben gestalteten.
Problem an der Sache: Spätestens ab 1933 waren die Manns sowohl durch ihre politischen Aktionen (Heinrich, Klaus, Erika) und die jüdischen Großeltern nicht mehr angesehen in Deutschland. Es folgte die Emigration nach Frankreich und nach Ablauf der Staatsbürgerschaft die Annahme von tschecho-slowakischen Pässen. Als Europa zu unsicher wurde, erfolgte dann die Emigration in die USA.
Thomas Mann – eine Welt in sich
All das nahm Thomas Mann in sich auf und ließ es in seine Werke einfließen, egal ob in die belletristischen oder die Essays. Vom Unpolitischen während des Ersten Weltkrieges, wandelte er sich in der Weimarer Republik zum Demokratiebefürworter und später, nach langem Zögern, auch zum Gegner Hitlers. Die Umstellung auf das ihm nicht vertraute Englisch musste er meistern und die Tragödien seiner Kinder mit ansehen (Klaus Mann beging Selbstmord, die Ehen von Erika und Michael verliefen nicht glücklich, Monika war das ewige Sorgenkind, Klaus, Erika und Golo kämpften um ihre homosexuellen Neigungen, einzig Elisabeth lebte weitestgehend ruhig).
Mich fasziniert das! Viele Debatten seiner Zeit kommen in den Werken Manns zu Wort. Und ich glaube, dass vieles von damals noch in der Schwebe ist. Selbst wenn wir in einigen Fragen weiter gekommen zu sein scheinen, so können wir doch aus historischem Interesse uns die vorläufigen Antworten der Vergangenheit anschauen.
Kann ein Berg die Welt sein?
Ein Beispiel hierfür ist „Der Zauberberg“. Knapp tausend Seiten stark, entfaltet sich vor dem Auge des Lesers die ganze Welt – auf einem einzigen Berg versammelt. Manns Roman ist ein Tableau der Debatten vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Mitgeteilt durch den Erzähler, debattiert von den Personen oder reflektiert vom Protagonisten – Hans Castorp.
Es gibt Fräulein Stöhr, die immer wieder kosmisch mit kosmetisch verwechselt, aber dutzende unterschiedliche Rezepte für Fischsaucen weiß. Es gibt Dr. Krokowski, der Vorträge über Liebe und abends spiritistische Seancen hält. Hofrat Behrens, bei dem man nie weiß, ob er seine Patienten aus Nächstenliebe oder Gewinnsucht im Sanatorium behält. Naphta und Settembrini, die zu Lehrern von Hans Castorp werden und über religiösen Kommunismus und Humanismus debattieren, was in einem Duell endet. Und schließlich Clawdia Chauchat und Hans Castorp, die sich verlieben. Aber wie immer, ist das mit der Liebe alles nicht so einfach.
Alles ist dabei. Alles ist versammelt. Alles wird besprochen . Die Zeit scheint stillt zu stehen, bis sich die Vorzeichen des Krieges mehren. Was für ein Berg – was für eine Welt!
Thomas Mann – der Zauberer
Seit ich 16 bin, bin ich fasziniert von Thomas Mann. Sich auf sein Werk einzulassen, ist einen neuen Kontinent zu entdecken. Sprache und Stil sind uns wahrscheinlich fremd geworden und auch Bandwurmsätze entsprechen nicht mehr unseren Lesegewohnheiten, aber es lohnt sich. Und selbst, wenn man ihn immer wieder liest, wird einem immer etwas Neues bewusst. Ein Weg, den man schon oft gegangen ist, und der doch immer wieder anders ist. Ich möchte euch einladen, dass ihr euch auch auf diese Reise begebt. Klar, es müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, aber dann wird man belohnt. Tragische Lieben, herzhaftes Lachen, krude Familiengeschichten, skurrile Persönlichkeiten und manchmal – ja manchmal auch so etwas wie Glück. All das findet sich in diesem Mikrokosmos Thomas Mann. Man sieht eine Welt, die vergangen ist, die aber irgendwie doch auch noch unsere ist und ist fasziniert.
Man kann mit Hans Castorp den „Zauberberg“ erkunden, mit Gustav von Aschenbach den wunderschönen Jüngling Tadzio bewundern, mit Joseph im Brunnen auf die Befreiung warten, zusehen wie „Jappe Jo und Do Escobar“ sich prügeln, mit „Herr und Hund“ spazieren gehen und mit Hanno Buddenbrook einen dicken Schlussstrich unter die Familienchronik ziehen, weil man glaubt, dass nichts mehr kommt.
Wenn man die Essays liest, spürt man die Begeisterung von Thomas Mann für andere Schriftsteller, denkt mit ihm über die Demokratie als Staatsform nach, erkennt in „Bruder Hitler“, dass das Böse in uns allen lauert und sieht, dass mit „Die Ehe im Übergang“ die Anfänge der Ehe-für-alle in den Zwanzigern liegen.
In den Briefen und Tagebüchern erfährt man Lustiges und Trauriges, kann den Lauf der Geschichte aus einem individuellen Blickwinkel wahrnehmen und Staunen, was für Marotten große Schriftsteller doch haben. Da kann die literarische Produktion noch nicht beginnen, weil der Schreibtisch noch nicht geliefert wurde, da werden hübsche Kellner bewundert, damit sie Eingang ins Werk finden und man erfährt, wann der große Mann unter Verstopfungen und Angstzuständen litt.
Die Bücher über Thomas Mann und seine Familie füllen mittlerweile selbst ganze Bibliotheken und es werden jährlich mehr. Vielleicht willst du also erstmal mit einer gut geschriebenen Biographie anfangen und diese außergewöhnliche (Welt-)Familie erkunden. (so zum Beispiel Tilmann Lahme, Die Manns. Geschichte einer Familie, Frankfurt am Main 2015) Das kann helfen einiges in den Büchern nochmal besser zu verstehen, quasi als Landkarte. Aber ich möchte dir auch Mut machen, dass du dich selbst auf Erkundung begibst. Vielleicht hilft es dir auch, unsere Welt besser zu verstehen, wenn du siehst, worüber man damals diskutiert hat.
Thomas Mann und die Seinen gehören zu den größten und bekanntesten Schriftstellern der Moderne. Lass dir nicht die Chance entgehen, sie selbst kennenzulernen. Lass dich aber gewarnt sein:
„Im Handumdrehen also wird der Erzähler mit Hansens Geschichte nicht fertig werden. Die sieben Tage einer Woche werden dazu nicht reichen und auch sieben Monate nicht. Am besten ist es, er macht sich im voraus nicht klar, wieviel Erdenzeit ihm verstreichen wird, während sie ihn umsponnen hält. Es werden, in Gottes Namen, ja nicht geradezu sieben Jahre sein!“ (Thomas Mann, Der Zauberberg, Frankfurt am Main 2002, S. 10.)
Manchmal dauert es länger, vielleicht sogar ein Leben lang.
Über den Autor
Kristian ist seit seiner Jugend begeistert von Thomas Mann. Zur Zeit studiert er in Marburg, einer Stadt voller Bücher.
Dieser Artikel ist Julius und Fabi gewidmet – möget ihr eine neue Welt erkunden!