Über die Beziehung zwischen Tochter und Vater: Ach, Papa von Mareike Nieberding

Meinen Vater habe ich immer geliebt und damit geht es mir besser als vielen anderen. Seit ich lebe hat uns nie eine Meinungsverschiedenheit getrennt, nie haben wir aufgehört, miteinander zu reden und nie haben wir uns gehasst. Für manche Menschen ist so viel Harmonie kaum zu ertragen, aber für uns ist das die Normalität. Mein Vater musste zwar immer viel arbeiten, aber wenn ich ein Problem hatte, war er immer sofort da. Ich konnte ihn jeder Zeit anrufen und mir sicher sein, dass er mir sofort helfen würde, notfalls indem er sich ins Auto setzt und zu mir fährt. Aber seit ich ausgezogen bin, hat sich unser Verhältnis verändert.
Ach, Papa von Mareike Nieberding
Ähnlich wie mir erging es der Autorin Mareike Nieberding, die über die Beziehung zu ihrem Vater das Buch „Ach, Papa: Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden“ geschrieben hat. Darin beschreibt sie sehr offen, ehrlich und herzlich, wie sie erwachsen wurde und wie sich im Lauf der Zeit, die Beziehung zu ihrem Vater ebenfalls gewandelt hat. Mareike Nieberding wächst ziemlich privilegiert auf: Ohne Schicksalsschläge in der Familie. Ohne Migrationshintergrund. Mitten in Westdeutschland. Das stellt die Autorin ihrem gesamten Text voran und macht damit deutlich, dass sie sich dessen vollkommen bewusst ist.
Mareike Nieberding hatte das, was man als glückliche Kindheit bezeichnet. Sie schreibt über ein paar lustige Episoden und Anekdoten aus dieser Kindheit, aber diese sind nicht der Kern des Buchs. Im Grunde geht es darum, dass die Autorin nach dem Abitur sich veränderte, weil sie mit dem Studium begann und sich in einer ganz anderen Welt wiederfand. Aber mit dieser anderen Welt stellte sich bei Mareike Nieberding ein Dünkel gegenüber ihrer Herkunft und dem Wohnort ihrer Eltern ein. Durch das Leben in der Großstadt wertete sie das Leben ihrer Eltern auf dem Land ab und dadurch kam es zu einer Schweigepause zwischen ihr und ihrem Vater. Sie wurden sich fremd und Mareike Nieberding bemerkte, dass das Haus ihrer Eltern nicht mehr länger ihr Zuhause war.
Wie man wieder zueinander findet
„Ach, Papa“ erzählt sehr ausführlich, warum es zur Veränderung in der Beziehung zwischen Mareike Nieberding und ihrem Vater kam. Diese Veränderung würde ich nicht einmal als Bruch bezeichnen. Das wäre viel zu dramatisch, denn sie hatten keinen Streit über irgendwas. Sie hatten sich nur nichts mehr zu sagen oder wussten nicht, was sie einander über ihr Leben erzählen sollten. Wie Mareike Nieberding und ihr Vater dieses Schweigen gebrochen haben, werde ich allerdings nicht verraten, dafür solltest du das ganze Buch gelesen haben. Die Antwort auf diese Frage lässt sich nämlich nicht mit 3 Sätzen geben.
Ich kann „Ach, Papa“ als Buch, um sich über die eigene Beziehung zu seinem Vater klar zu werden, nur empfehlen. Mareike Nieberding schreibt sehr persönlich und zumeist auch spannend. Sie bringt immer wieder andere Gedanken in ihr Buch hinein, so dass es am Ende nicht nur ein Buch über ihren Vater ist, sondern auch eines über Herkunft und Erwachsenwerden.
Mein Vater und ich
Mareike Nieberdings Buch brachte mich zum Nachdenken über die Veränderung in der Beziehung zwischen meinem Vater und mir: Eigentlich fing die Veränderung erst vor wenigen Jahren an. Nämlich genau zu dem Zeitpunkt als ich meinen Freund kennenlernte und wir recht schnell zusammenzogen. Ab da fuhr ich nicht mehr am Großteil der Wochenenden von meiner Universitätsstadt nach Hause zu meinen Eltern und ich begann Probleme selbst zu lösen, die mein Vater bisher für mich gelöst hatte – zum Beispiel, wenn etwas an meinem Auto kaputt ging. Aber trotz dieses größeren Abstandes haben wir immer noch genug Themen, um mehrere Abende mit Gesprächsstoff zu füllen. Es gab zwischen meinem Vater und mir nie so eine Art Sendepause wie bei Mareike Nieberding und ihrem Vater. Und ich kann mir sicher sein, wenn ich meinen Vater anrufen würde, weil etwas passiert wäre, er wäre so schnell es geht hier.
Mareike Nieberding: Ach, Papa: Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden. Suhrkamp Nova. ISBN: 978-3518468128. 187 Seiten. 14,95 €.
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