Bisher hat Bas Kast nur Sachbücher geschrieben und das richtig gut. „Der Ernährungskompass: Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung“ habe ich schon in etlichen Bücherregalen gesehen – dieses Buch wurde ein richtiger Bestseller. Als Abiturientin fiel mir 2007 sein Buch „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft“ in die Hände. Ich habe es damals verschlungen und das schaffen wirklich nicht viele Sachbücher bei chronisch faulen Abiturienten. Mit „Das Buch eines Sommers“ erschien im September der erste Roman von Bas Kast im Diogenes Verlag und ich war sehr gespannt, ob dieses Buch mich auch in seinen Bann ziehen würde.
In meinem Bachelorstudium im Fach Wirtschaftswissenschaften habe ich den Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre gewählt. Mir hat das Studium damals viel Spaß gemacht und die Inhalte waren wirklich interessant, umso mehr habe ich mich gefreut, als „Zu Keynes passt das nicht“ vom Volkswirtschaftslehre-Professor Björn Frank erschienen ist. Ich habe mich regelrecht auf die Kurzbiografien berühmter Ökonominnen und Ökonomen gestürzt und konnte in alten Studienerinnerungen schwelgen. Noch schöner ist es daher für mich, dass ich Björn Frank zu sich und seinem neuen Buch, das im Berenberg Verlag erschienen ist, interviewen konnte.
Die Form der Schönheit – Über eine Quelle der Lebenskunst
Das Buch Buch „Die Form der Schönheit“ handelt von, wer hätte es gedacht, Schönheit im Leben beziehungsweise im Alltag. Es geht darum, den Sinn für Schönheit zu schärfen und dadurch ein glücklicheres Leben zu führen. Es geht um den Sinn für Ästhetik und die Wertschätzung der Dinge, die einen umgeben. Das klingt zunächst ziemlich abstrakt, ist es in gewisser Weise auch, aber Frank Berzbach versteht es, den Lesern seine Gedanken mit Beispielen zu verdeutlichen.
Frank Berzbach schrieb „Die Form der Schönheit“ nach drei Büchern über die Kreativität, weil sich ihm die Frage aufdrängte, in welchem Zusammenhang das Geschaffene auch heute noch mit der Schönheit steht. Beim Lesen habe ich das aber nur am Rande bemerkt, viel mehr beschäftigt hat mich der Rat gebende Aspekt des Buchs. Also, was ist Schönheit eigentlich? Wie bemerke und wertschätze ich Schönheit? Dabei habe ich gemerkt, dass Schönheit für mein eigenes Leben sehr wichtig ist – wichtiger als ich zunächst dachte. Mein Drang zur Schönheit beginnt bei den Möbeln und Gegenständen in meiner Wohnung, bei meiner Kleidung im Schrank und beim Essen, das ich verzehre. Dieser Drang gipfelt für mich in den Tätigkeiten für meinen Blog, wenn ich dir, meinen Leser, versuche die Schönheit (oder auch die Hässlichkeit) von Büchern in Form von Texten oder Bildern zu zeigen.
Nur kein Massenmensch werden
Der Begriff des Massenmenschen stammt von Edgar Allan Poe und steht für einen Menschen, der keinen eigenen Geschmack, kein eigenes Denken hat. Es schwingt in dem Wort eine gewisse Trägheit beziehungsweise Taubheit mit, weil dieser Mensch nur stupide dem Geschmack aller folgt. Frank Berzbach ist ein eigenwilliger Mensch, definitiv kein Massenmensch – das zeigen alle seine Bücher und Artikel. In „Die Form der Schönheit“ widmet er sich ausführlich dem, was es heißt, kein Massenmensch zu sein. Dieser Gedanke beschäftigt mich an diesem Buch sehr, besonders im Zusammenhang mit einem Zitat von Heimito von Doderer: „Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die — von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaftlern herbeigeführte — derzeitige Beschaffenheit unserer Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, so weit er sich nur was zum Saufen beschaffen kann. Sich und Andere auf solche Weise zu zerstören, ist eine begreifliche und durchaus entschuldbare Reaktion. Wer nicht säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und freiwillige Mehr-Leistung.“ Wenn man nach meinem Abschluss geht, gehöre ich ja eindeutig zu den Betriebswissenschaftlern und diese stehen nun einmal nicht für Schönheit.
Es ist schwierig, eine konkrete und zusammenhängende Inhaltsangabe von „Die Form der Schönheit“ abzugeben und wahrscheinlich tut man dem Buch damit Unrecht, indem man es versuchen würde. Frank Berzbach versteht es sehr gut, die Gedanken von verschiedensten Denkern und Künstlern in einen Zusammenhang zu bringen und dadurch gibt er immer wieder Anstoß zum Nachdenken. In diesem Sinne ist „Die Form der Schönheit“ kein einfaches Buch, aber ein lohnendes.
Frank Berzbach: Die Form der Schönheit. Eichborn Verlag. ISBN 9783847906391. 112 Seiten. 20,00 €.
Etwas Sinnvolles?
Vor ein paar Wochen hat mich eine gute Freundin zu einem mehrtägigen Workshop über soziales Gründen hier in Chemnitz eingeladen. Vielleicht hätte mir das eine Antwort auf meine Frage geliefert, aber ich habe keine Zeit 5 Tage am Stück von früh bis spät über soziales Unternehmertum nachzudenken. Ich muss schließlich zu meinen Vorlesungen beziehungsweise Prüfungen, zu meiner Arbeit, an meinen wahnsinnigen Studienprojekten weiterarbeiten und ganz nebenbei fahre ich am Wochenende auch noch zu Bloggertreffen. Davon einmal abgesehen, sollte ich mal die Wohnung saugen, damit der nächste Besuch nicht denkt, er wäre bei den Flodders. Das war es dann wohl mit der nächsten Sina Trinkwalder.
Meine Quarterlife Crisis beschäftigt mich nun schon eine kleine Ewigkeit. So sehr, dass ich jetzt auch zu Psychotests und Übungen in Sachen „eigene Talente entdecken“ übergegangen bin. Dabei kam heraus, dass ich mehr kreative Tätigkeiten machen soll, dann wäre ich wahrscheinlich auch entspannter. Aber was heißt denn bitte kreativ? Soll ich jetzt anfangen mit Buchschreiben oder Aquarellzeichnungen? Musik schließe ich gleich von vornherein aus. Daran bin ich schon mit 9 Jahren grandios gescheitert. Probleme lösen ist allerdings auch kreativ und manchmal auch sinnvoll, wobei wir wieder bei Sina Trinkwalder wären.
Ein guter Freund, dem ich mein Leid geklagt hatte, hat mir „Das Café der Existenzialisten“ von Sarah Bakewell empfohlen. Er war der Ansicht, die Existenzialisten könnten mir helfen. Nun, das Buch hat sich gut lesen lassen. Aber mehr Erkenntnis, als bei mir ohnehin vorhanden war, haben sie mir auch nicht geliefert. Ich weiß, dass der „Mensch ungefragt in die Welt geworfen wurde“ und damit dann klarkommen muss.
Ich, der Sisyphos.
Wirklich neu an Bakewells Buch war für mich aber das Denken von Albert Camus. Der Mensch kann selbst dem Absurden einen Sinn abtrotzen und bringt das Beispiel von Sisyphos an. Dieser arme Grieche, der tagtäglich einen Stein den Berg hoch rollen musste, der kurz vor dem Gipfel dann wieder herunterrollte. Camus sagt: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Vielleicht war das alles hier schon immer absurd, aber mir ist es nur nicht aufgefallen und ich war trotzdem glücklich?
Eigentlich hält diese Quarterlife Crisis schon mein ganzes Studium an, denn so richtig genau, wusste ich nie, was ich machen soll. Ich habe einfach nach dem Abitur angefangen BWL zu studieren, weil mich die Wirtschaft wirklich interessiert hat und damit war ich das Gegenteil der meisten BWL-Studenten. Zwischendurch hatte ich mich immer mit verschiedenen Themen beschäftigt – Marketing, Vertrieb, Finanzen, Logistik. An der Uni habe ich mir sogar den Schwerpunkt VWL gewählt im Bachelor, weil es mich so interessiert hat, was für ein Wahnsinn da draußen gelegentlich abgeht. Dabei hatte ich mir immer kurz vorgestellt, was für eine famose Zukunft mir in dem jeweiligen Fach bevorstehen würde, um dann wieder an meiner Wahl zu zweifeln.
Meinen Master habe ich dann nach praktischen Überlegungen ausgewählt: Durch meinen Nebenjob und die Erfahrung als Bloggerin hatte ich schon vergleichsweise größere praktische Erfahrung in Marketing und in der Wirtschaftsinformatik. Diese beiden Gebiete liegen mir, ich mache sie gern, wache nachts allerdings nicht vor Aufregung auf, weil ich gerade einen Traum für die Lösung eines Marketingproblems gehabt habe. Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig. Vielleicht ist Zufriedenheit und Interesse schon sinnvoll genug und damit das Ende meiner elenden Zweifelei.
Philosophie geht jeden an
In „Luft nach oben“ geht es darum, die gedanklichen Grundlagen für ein besseres Leben zu schaffen. Nicolas Dierks ist die praktische Philosophie sehr wichtig und nicht der Elfenbeinturm des wissenschaftlichen Diskurses. Das Buch wurde für jeden interessierten Menschen geschrieben und braucht keine Vorkenntnisse.
Schon 2014 habe ich das erste Sachbuch „Was tue ich hier eigentlich?“ von Nicolas Dierks gelesen. „Luft nach oben“ ist dem ersten Buch nicht unähnlich – es ist für jeden leicht zugänglich, interessant und teilweise auch sehr persönlich geschrieben. Nichts mit staubtrockener Philosophie!
Themen aus „Luft nach oben“
- Was heißt im Hier und Jetzt leben?
- Wie findet man den Sinn des Lebens für sich?
- Wie lebt man gesünder?
- Was ist wirklich wichtig?
- Wie groß ist die Freiheit im Leben?
- Wer bin ich wirklich?
- Wie geht man mit den eigenen Gefühlen um?
- Wie kann man neue Gewohnheiten festigen?
Philosophische Strategien für ein besseres Leben
Ich hoffe, du hast durch die Themenliste schon einen kleinen Einblick ins Buch gewonnen. Nicolas Dierks erläutert diese Fragen immer wieder an kleinen Anekdoten oder Geschichten. Besonders in Erinnerung ist mir zum Beispiel die Geschichte des Marktforschers im Hamsterrad geblieben. Dieser Mann ist gelangweilt von sich und seinem Job im Marktforschungsinstitut. „Alle sind per Du, aber Freunde hat er dort keine.“ (Seite 86) Er sieht den Sinn in seiner Tätigkeit nicht, arbeitet trotzdem viel und fragt sich am Wochenende in Kunstgalerien, was wirklich von seinem Leben übriggeblieben ist. Der Marktforscher ist so schlecht gelaunt, dass seine Freundin lieber nicht nachfragt. Eigentlich hätte er gern ein Kind mit ihr, aber sie will nicht, denn die Karriere ist ihr erstmal wichtiger.
Auf der Suche nach einem Geschenk findet er im Buchladen ein Buch „Der Mensch ist das Wesen, das immer entscheidet, was es ist.“, dann beginnt der Marktforscher nachzudenken und sich zu verändern. Aber gleich radikal – seine Arbeitskollegin erzählt ihm von einem Achtsamkeits-Workshop und er fasst den Plan, sich ein Jahr Auszeit bei einem buddhistischen Retreat-Zentrum auf Irland zu gönnen. Er ist überzeugt, dass er dies braucht, um seine Einstellung zu ändern. Seine Freundin lässt ihn gehen, obwohl sie in der Zwischenzeit zu der Erkenntnis kam, dass sie auch gern ein Kind möchte. Was nach dem Sabbatical passiert ist kein Happy-End und hat auch keine Pointe.
Aus diesen kleinen Geschichten habe ich mehr gelernt als aus 50 Seiten theoretischen Überlegungen. Nicolas Dierks ist sehr gut darin, philosophische Erkenntnisse in Geschichten zu verpacken und sie so „normalen“ Menschen näher zu bringen. Gerade auch die Strategien, um Gewohnheiten im eigenen Leben zu verankern ist für mich ein sehr nützliches Kapitel gewesen. Ebenso wie die Liste mit den 15 Strategien, die Veränderung unmöglich machen. „Luft nach oben“ hilft also, festzustellen, was man im Leben möchte, was wichtig ist, was man ändern möchte und bietet dann auch konkrete Unterstützung bei der Umsetzung mit dem „richtigen Mindset“. Und das kann dieses Buch besser als jeder Diätratgeber. Versprochen.
Nicolas Dierks: Luft nach oben – Philosophische Strategien für ein besseres Leben. Rowohlt Verlag. ISBN: 978-3499631740. 256 Seiten. 14,99 €
Kommentierfrage: Hast du dich schon einmal mit Philosophie beschäftigt?
Die Zukunftsrede „Wer wir waren“
„Wer wir waren“ als Buch zu bezeichnen ist vielleicht ein wenig übertrieben, wenn man sich den Umfang des sechzigseitigen Hardcovers ansieht. Aber eigentlich ist es auch nur die überarbeitete und abgedruckte Variante der letzten Rede von Roger Willemsen. Im Sommer 2015 arbeitete Roger Willemsen an einem neuen Buch mit dem Titel „Wer wir waren“. Die Grundgedanken des Buchs schrieb er schon in einer Rede nieder und trug diese auch bereits vor Publikum vor. Dann eröffnete der Arzt von Roger Willemsen ihm die Krebsdiagnose. Konsequent, wie Willemsen war, stellte er die Arbeit an dem Werk ein und wollte die Zeit, die ihm blieb, für Wichtigeres nutzen.
Die letzten Worte eines Toten
Das letzte Buch von Roger Willemsen ist keine Geschichte und kein Erlebnisbericht aus dem Leben. Es ist eine Art Essay, in der Roger Willemsen alle klugen Gedanken gepackt hat, die er noch veröffentlicht haben wollte. Dabei ist der Text keinesfalls durcheinander und uneinheitlich – alles läuft hinaus auf ein paar wichtige Ratschläge beziehungsweise Thesen, die es wert sind, darüber nachzudenken. „Wer wir waren“ liest sich wie eine letzte Mahnung an die Menschen, sich auf das Wesentliche im Leben zu besinnen und die Gedankenlosigkeit zu stoppen.
Roger Willemsen hat viele gute Gedanken und überragende Argumentationsketten, allerdings ist „Wer wir waren“ nicht gerade einfach zu lesen aufgrund der Informationsdichte. Der Leser muss sich schon etwas anstrengen und womöglich das kurze Büchlein zwei Mal lesen. Aber das ist es auch wert. Ich habe die Strapazen des Denkens gern auf mich genommen. Beim Lesen hatte ich ständig das Gefühl, dass Roger Willemsen gewusst haben muss, dass dieses sein letztes literarisches Werk sein muss. Es fühlte sich immer so an, wie Worte eines weisen Menschen aus dem Grab. Ja, „Wer wir waren“ ist moralisch und vielleicht ist sogar der Zeigefinger von Roger Willemsen erhoben.
3 kluge Zitate aus „Wer wir waren“
Geradezu grenzenlos haben wir ja in allen Medien der historischen Rekonstruktion durch die Augen jener blicken gelernt, die waren und gingen. Vergleichsweise selten aber versuchen wir, uns im Blick jener zu identifizieren, die kommen und an uns verzweifeln werden. Aus: „Wer wir waren“ von Roger Willemsen, Seite 25
Wir erwachen im Goldenen Zeitalter der Ruhelosen und werden sagen können: Wenn wir in den Städten auf die Straße traten, hatte der Kampf um unsere Aufmerksamkeit schon eingesetzt. Aus: „Wer wir waren“ von Roger Willemsen, Seite 33
Wir waren die, die verschwanden. Wir lebten als der Mensch, der sich in der Tür umdreht, noch etwas sagen will, aber nichts mehr zu sagen hat. Aus: „Wer wir waren“ von Roger Willemsen, Seite 51
Worum es in „Wer wir waren“ geht
Die Grundidee des Buchs ist Gedankenakrobatik: Roger Willemsen betrachtet die Gegenwart aus der Perspektive der Zukunft. Was werden die Menschen, die nach uns kommen, von uns denken? Welche Leistungen oder Fehltaten werden wir in ihren Augen vollbracht haben? Das ist so, wie wenn sich die Römer fragten, was wir Menschen im Jahr 2017 von ihnen halten. Oder anders ausgedrückt, was wird von uns übrigbleiben? Beim Lesen dieses Gedankens wird mit tatsächlich etwas schwindelig und auch etwas eng ums Herz.
Roger Willemsen analysiert in „Wer wir waren“ sehr scharf, was wir als moderne Menschen eigentlich für einen Blödsinn verzapfen. Und er benennt sehr genau, welcher unserer Annahmen irrsinnig ist. Zum Beispiel, dass alles, was neu ist, immer auch besser ist. Wir leben für die Zukunft, machen uns die schönsten Pläne und glauben unermüdlich daran, dass alles später besser sein wird. Die Zukunft ist für uns immer positiver als die Gegenwart und darüber vergessen wir die Gegenwart. Dabei ist diese eigentlich alles, was wir haben.
In unserem Zukunftsglauben und der Traumwelt daran verschwimmen Original und Simulation. Das ist wie in der schönen neuen Welt der Sozialen Medien – die meisten Bilder darin sind nicht echt, sondern zeigen nur perfekte Ausschnitte der Wirklichkeit und sind geschauspielert. Der Betrachter möchte selbst unecht werden. Roger Willemsen geht es um den ruhelosen Menschen, der Gefühl, Wissen und Handeln trennt. Wir haben das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber müssen erstmal eine umfangreiche und möglichst objektive Analyse anstrengen, bevor wir etwas unternehmen. Es muss ganz sicher sein.
Roger Willemsen war kein Freund von Smartphones. Nach „Wer wir waren“ kann ich das gut verstehen, denn Aufmerksamkeit wird zum wertvollsten Gut und der Konsum zum Heilsversprechen. Aber das liegt nicht am Smartphone allein, sondern an der Gesellschaft an sich. Nach dem Lesen von „Wer wir waren“ spüre ich den Wunsch etwas an meiner Lebensweise zu ändern. Jedes Mal, wenn ich die Zukunftsrede lese, wird der Wunsch stärker und das ist doch ein gutes Omen für 2017.
Fazit
Die Zukunftsrede „Wer wir waren“ von Roger Willemsen ist ein kluges Buch. Es hat mich bewegt und trotz des geringen Umfangs verändert.
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Kulturbuchtipps
Kommentierfrage: Was solltest du an deinen Verhaltensweisen und Gewohnheiten ändern oder nimmst es dir zumindest schon länger vor?
Keri kramt sich also durch die Buchregale: Sie ist in der Abteilung für Lyrik und greift zu einem gebundenen Gedichtband von Walt Whitman – „Leaves of Grass“. Beim Durchblättern des Buches findet Keri Smith kleine handgeschriebene Bemerkungen: „WW will show you the way.“, „Solvitur ambulando“ oder „The Wander Society“. Außerdem sind Textpassagen unterstrichen und immer mal wieder am Rand finden sich irgendwelche Symbole. Mysteriös. Keri Smith nimmt den Leser in ihrem Buch „The Wander Society“ mit auf eine Entdeckungsreise und enträtselt, was es mit ihrem Buchladen-Fund auf sich hat.
Keri Smith – Kindskopf, Kuratorin und Kreativmaschine
Vielleicht sagt dir der Name Keri Smith so jetzt erstmal nichts. Allerdings bin ich mir sehr sicher, dass du sie doch schon kennengelernt hast. Keri r revolutioniert gerade so ein bisschen die Welt des Buchmachens. Sie bezeichnet sich selbst als „Autorin, Illustratorin und Guerilla Künstlerin“. Damit hat sie meiner Meinung nach vollkommen recht, sie vereint die Qualitäten verschiedener Berufsgruppen in sich und das muss sie auch für ihre Buchprojekte.
In Deutschland erschien bereits „Mach dieses Buch fertig“, „Dies ist mehr als ein Buch“, „Wie man sich die Welt erlebt: Das Kunst-Alltags-Museum zum Mitnehmen“ und „Mein wildes Buch“. Alle diese Bücher haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind nur bedingt zum Lesen da. Mir fetzt dieser Ansatz sehr, es ist ein neuer Ansatz mit dem Medium Buch umzugehen und es ist kein zimperlicher Ansatz. Besonders Bibliophile werden es für Frevel halten, wenn man Buchrücken absichtlich brechen oder gar Seiten in Brand setzen soll. Aber hab dich nicht so, es geht schließlich nicht um die signierten und leinengebundenen Schätze deiner Privatbibliothek!
„The Wander Society“ – It is solved by walking.
Durch ihre Entdeckung im Buchladen kommt Keri Smith einer mehr oder minder geheimen Gesellschaft auf die Spur. Zu dieser Gesellschaft gehörten große Personen: Erfinder, Schriftsteller oder Philosophen. Es waren Querköpfe, die sich ihre Meinung nicht haben vorgeben lassen, sondern selbst entdeckten, was für sie richtig oder falsch war. Und alle waren irgendwie besonders mit der Natur, oder noch etwas weiter gefasst, mit ihrer Umwelt verbunden. „The Wander Society“ existiert noch heute und ihre Mitglieder wollen noch heute lieber unbekannt bleiben. Aber Zeichen von dieser Gesellschaft findet Keri überall, jetzt wo sie danach sucht: Markierungen, Aufkleber in der Stadt oder Flugblätter. Und das dokumentiert Keri Smith auch in ihrem Buch.
Persönlich halte ich diese Gesellschaft für eine Erfindung der Autorin, aber es macht mir dennoch großen Spaß darüber zu lesen. Die Gestaltung des Buchs „The Wander Society“ ist wunderschön. Es gibt viele Illustrationen beziehungsweise Fotos und jede Seite ist ein bisschen anders. Keri Smith bedient sich verschiedener Formen, ihre Inhalte darzustellen: Listen, Briefe, Zeitungsartikel oder Glaubensbekenntnissen. Das ist richtig spannend zu lesen und hat mir riesige Freude bereitet. Warum soll diese Gesellschaft nun erfunden sein? Es gibt dazu eine Website, die war lange in Bearbeitung und wird im Buch auch explizit angesprochen. Jetzt gibt es hier etwas zu sehen oder zum Durchklicken. Diese ganze Symbolik ähnelt aber sehr den Zeichen und Illustrationen von Keri Smith. Darüberhinaus bezweifle ich den Sinn der Gesellschaft. Die angeblichen historischen Mitglieder waren tatsächlich meist sehr naturverbunden und es ist leicht zu recherchieren, dass sie ganz gern Spaziergänge unternahmen und dabei nachdachten. Aber eine Gesellschaft, um sich über dieses Hobby auszutauschen? Naja.
Geh endlich mal raus vor die Tür!
Keri Smiths Hauptanliegen mit diesem Buch ist, dass du mal wieder deinen Po aus dem Sessel und vor die Haustür schwingst. Die Autorin animiert dazu, eigene Entdeckungstouren zu unternehmen – egal ob im Wald, im Stadtpark oder mitten in der Großstadt. Wichtig ist, dass du einfach losläufst, ohne dir vorher Gedanken über ein Ziel zu machen. Schau, was deine Umgebung zu bieten hat und lass dein Handy gefälligst daheim. Keri Smiths Botschaft ist nicht sonderlich neu, es gibt viele Ratgeber zur Entspannung und zum Thema Achtsamkeit, die ähnliche Kerngedanken propagandieren. Aber diese Ratgeber sind selten so schön mysteriös gestaltet wie „The Wander Society“, das Buch spricht irgendwie das „Innere Kind“ im Leser an.
Natürlich habe ich selbst auch nicht nur das Buch gelesen, sondern ich bin auch raus vor die Tür – ohne Handy aber mit Kamera:
Vielleicht hast du jetzt auch Lust, vor die Tür zu gehen?
Fazit
Keri Smith hat mit „The Wander Society“ einen alten Inhalt in eine völlig neue Form verpackt. Es machte mir großen Spaß das Buch zu lesen und dann selbst aktiv zu werden.
Wann warst du das letzte Mal Spazieren und wo? Was hast du entdeckt?
Zu Beginn lässt sich sagen, dass der Verlag mit der Buchgestaltung entweder sehr über das Ziel hinaus geschossen ist oder aber die Provokation und das Klischee wirklich bewusst herbeigeführt wurde. Denn der Inhalt lässt nicht zu den Waffen greifen, vielmehr setzt sich Rebekka Reinhard dafür ein, dass das moderne Dornröschen endlich mal aufwacht. Das Ziel ist ein solidarisches Miteinander, weg von den klassischen Rollenverteilungen und hin zu einer zeitgemäßeren Lebensgestaltung.
Rebekka Reinhard –Die bessere Alice Schwarzer?
Frau Reinhard ist promovierte Philosophin und schreibt neben Büchern wie „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ auch Artikel in den Zeitschriften „Hohe Luft“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Nebenbei hält sie auch noch Vorträge und Reden. Bisher sind die Bücher „Die Sinn-Diät“ und „Würde Platon Prada tragen?“ von ihr erschienen.
Ihr ehrgeiziges Ziel ist nichts Geringeres als die Philosophie weg aus dem Elfenbeinturm der alten Männer an den noch älteren Universitäten zu holen und dahin zu bringen, wo die Philosophie tatsächlich hingehört: ins pralle und temporeiche Leben. Und genau das gefällt mir so an den Artikeln von Rebekka Reinhard, deshalb wollte ich unbedingt ihr neues Buch lesen.
Mit „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ spricht die Autorin ein heikles Thema an: Wellenförmig verläuft die Feminismus-Emanzipations-Gleichberechtigungs-Debatte. In regelmäßigen Abständen kocht das Thema durch irgendeinen aktuellen Anlass kurzzeitig hoch, nur um dann wieder in den stillen Sumpf zu verschwinden. Aber Frauen betrifft das eigentlich jeden Tag und nicht nur dann, wenn wieder irgendein Prominenter eine Frau vergewaltigt hat. Mit ihren Ideen in „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ tut Reinhard der Emanzipation einen größeren Dienst wie Alice Schwarzer in ihren keifenden Interviews und Reden.
Warum tun sich Frauen jetzt eigentlich so schwer mit der Macht?
Macht ist männlich, das ist historisch gewachsen. Macht ruft eher Assoziationen mit männlichen Institutionen wie die Armee, der Mafia oder einzelnen Personen wie Putin hervor, keiner denkt da an weiches, weibliches Verhalten. Und dies zu ändern, ist nicht so einfach. Gerade weil Macht auch nicht immer nur positiv konnotiert ist, denn Macht verdirbt auch. Es wird nicht offen ausgesprochen, wer die Macht hat. Warum sollten Frauen da bewusst und offen über Macht reden wollen?
Und dann gibt es noch gewisse Verhaltensmuster, die Frau irgendwann einmal anerzogen bekommen hat, weil das doch scheinbar ganz gut ist. Alles muss harmonisch sein, deshalb gehört Nett-sein und Bescheidenheit dazu. Auf keinen Fall darf die Frau einen Konflikt auslösen, etwas anderes tun als Ja sagen. Dann gibt es endlich keine Konfrontation, keinen Streit mehr. Aber gleichzeitig wird viel Kraft aufgewandt, um diese faule Harmonie herzustellen, denn die eigenen Bedürfnisse werden ignoriert. Um es deutlicher zu sagen, verbaut die Frau sich ihren Weg selbst manchmal, indem sie sich nicht traut offen anderer Meinung zu sein und die Dinge nicht einfach nur hinzunehmen. Die Selbstausbeutung ist also an der Ohnmacht schuld.
Alle drei Minuten klingelt ihr innerer Wecker. Alle fünf Minuten wird sie vom schlechten Gewissen unterjocht. Ihr Leben ist Arbeit, und ihre Arbeit besteht im Aufschieben des Lebens. – S. 49
Insofern ist „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ kein Buch, wie man Macht über Männer gewinnt, sondern über das eigene Leben. Es ist kein Geschlechterkampfbuch, es ist ein Buch über den Kampf mit sich selbst. Manche Männer sind vielleicht böse, aber manche Frauen genauso (auch das wird durch Frau Reinhard angesprochen) und die eigene Trägheit, der Willen zum Konformismus ist definitiv böse. Rebekka Reinhard gibt in ihrem Buch konkrete Hinweise, wie man diese Verhaltensweisen, die frau blockieren, erkennt und ändern kann. Die Autorin möchte ihren Lesern helfen, mündigere und selbstdenkende Menschen zu werden, die kritisch das Verhalten der Anderen, aber auch das eigene Verhalten hinterfragen. Ebenfalls ist die Literaturliste am Ende des Buchs sehr interessant, Rebekka Reinhard hat besonders wertvolle Bücher nochmals hervorgehoben.
Ob weiblich oder männlich, der Mensch von heute ist ein wandelndes Provisorium, die Verkörperung einer Fülle, nicht, noch nicht oder nie ganz realisierter Möglichkeiten. – S. 52
Fazit
Rebekka Reinhard ist mit „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ ein unaufgeregtes Buch über die Emanzipation gelungen, welches besonders Frauen sehr ans Herz gelegt sei.
Die Meinung anderer Blogger:
Rebel in a new Dress
Kommentierfrage: Steht ihr euch auch selbst häufiger im Weg?
Worüber kann man bitte beim Laufen philosophieren? Wozu eine Philosophie des Laufens?
Über alles mögliche! Das Laufen selbst bietet unendlich viele Ansätze. Im Sammelband beschäftigen sich sowohl Philosophieprofessoren und Universitätsmitarbeiter als auch deutsche Journalisten und Blogger mit diesem Sport. Geschrieben wird beispielsweise über die Bedeutung des Laufens und die Motive. Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, was es heißt, einen Marathon zu laufen? Es sind schon Menschen gestorben, weil es ihnen zu anstregend war. Das Thema ist also hochdramatisch. Dann wäre nicht nur die potenzielle Lebensgefahr, sondern auch noch das Training, welches einem Marathon für gewöhnlich schon Monate im Voraus beginnt. Ständig schwitzen und abmühen. Frühmorgens aufstehen, wenn andere noch eine Stunde im Bett liegen bleiben, nur um den Trainingsplan einhalten zu können. Diese Marathonläufer müssen wirklich einen Schaden haben.
In „Die Philosophie des Laufens“ wird sehr häufig der Schaden eines Läufers angesprochen, seine Verrücktheit an so einem vermeintlich sinnlosen Sport Freude zu finden. In der Zwischenzeit könnte der Läufer auch andere Sachen machen, spannendere Sportarten wie beispielsweise Fußball oder Handball betreiben oder auch faul ein Buch auf dem Sofa lesen. Ja klar, das könnte er, er möchte es nur nicht.
Allenthalben regiert die Unsicherheit darüber, wie dieser Körper denn zu pflegen sei, damit aus dem Kopf so etwas wie Leistung herauskommt: Rauchen wie Helmut Schmidt? Spazieren gehen wie Karl Marx? Boxen wie Dr. Christine Theiss? Oder ist das doch alles egal, wie bei Stephen Hawking? – S. 127
Die Unabhängigkeit des Läufers
Für mich ist Laufen unabhängig, es zählt nur das Wetter – wenn es tropische 30°C sind oder in Strömen regnet, dann gehe ich nicht laufen. Aber das war es dann auch an Beschränkungen. Ich muss auf niemanden warten, ich brauche nicht erst zu irgendeiner Turnhalle zu fahren mit dem Auto. Ich ziehe den Sport-BH an, schlüpfe ins T-shirt, springe in die Laufshorts, fahre in Socken und Schuhe, lege den MP3-Player an und dann geht die Haustür auf. Ich laufe los. Zum Laufen braucht man nur Schuhe und etwas zum Anziehen, es ist ein billiger Sport. Also er kann billig sein, viel Geld für irgendwelchen Kram kann immer bezahlt werden von dem, der es braucht.
Natürlich kann der geneigte Läufer sich auch mit technischen Schnickschnack und Plunder verkabeln und permanent selbst überwachen. Apps, smarte Uhren, die neben der Herzfrequenz noch den Sauerstoffgehalt im Blut messen. Und wenn es klappt, analyisieren diese Dinger noch den Nitritgehalt im Urin und teilen dem Benutzer in Echtzeit mit, ob er sich vom vielen Rennen in der Kälte schon eine Blasenentzündung zugezogen hat. Persönlich stehe ich diesem Trackingzirkus sehr skeptisch gegenüber, auch die Schreiber in „Die Philosophie des Laufens“ haben ihre eigene Meinung. Für mich nimmt es die Einfachheit am Sport und der NSA werden auch noch die letzten Daten zugespielt, die ich nicht schon auf diesem Blog preisgegeben habe. Muss nicht sein.
Freiheit und Schwerelosigkeit des Geistes
Jetzt habe ich noch immer nicht die Frage beantwortet, was das Laufen dem Läufer eigentlich bringt. Es gibt darüber viele Theorien: Laufen steigert die körperliche Fitness, der Läufer möchte Pokale und Medaillen gewinnen oder sich mit anderen messen. Es gibt Menschen, denen macht laufen tatsächlich Spaß ohne irgendwas dazu; das sind wohl die Wahnsinnigsten. Und nicht zu vergessen sind die Charaktereigenschaften, die dieser Sport fördert: Disziplin, Ausdauer und Durchhaltewillen. Vorzügliche Sachen in unserer modernen Arbeitsgesellschaft. Worum es jedoch hauptsächlich in „Die Philosophie des Laufens“ geht, ist das, was die Bewegung mit unserem Geist macht. Zunächsteinmal wird der Kopf leer: Der Ärger von der Arbeit oder der Beziehung ist nicht mehr ganz so schlimm. Es wird Raum geschaffen für neue Gedanken, zum Philosophieren. Darüber sind sich nicht nur die Philosophen im Sammelband einig, sondern auch die Journalisten.
Wenn das Hirn ordentlich durchgelüftet wurde, hat es Platz für frische Ideen oder eine neue Sicht auf die Dinge. Im besten Fall driftet man in diese andere Welt ab und vergisst, dass man gerade läuft. – S. 39
Beim Lesen waren für mich gerade die journalistischen Texte spannend, sie waren näher an mir dran und irgendwie auch anschaulicher. Manch einer der Philosophieprofessoren stieg manchmal schon in Höhen auf, über die sich der Jogger von der Ecke keine Gedanken macht. Auch das war interessant, aber schwerer lesbar. Mir hat das Lesen Spaß gemacht: Loben möchte ich den Mairischverlag für die Gestaltung des Buchs, das hab ich selten so clean und schick gesehen.
Fazit
Ein super Weihnachtsgeschenk für Hobby- und Profiläufer und für alle, die irgendwie dazwischen hängen geblieben sind.
Edo Popovic
Ein kroatischer Schriftsteller schafft es ins Deutsche übersetzt zu werden und kommt dabei noch bei einem größeren Verlag unter. Das passiert in Deutschland nicht so oft. Eigentlich orientiert man sich doch gern an der englischen Literatur und den Trends aus Übersee.
Edo Popovic wurde 1957 in Bosnien-Herzegowina geboren und lebt seit 1968 in Zagreb. Er ist ein kroatischer Schriftsteller. In den Neunzigern war er Kriegsberichterstatter über den Balkankonflikt. Von ihm wurden schon mehrere Bücher ins Deutsche übersetzt, beispielsweise „Mitternachtsboogie“ oder „Der Aufstand der Ungenießbaren“.
„Anleitung zum Gehen“
Wir sprechen hier nicht über ein Buch über das Schlussmachen, wobei es das indirekt auch sein könnte. Eigentlich geht es um das menschliche Selbst und ob es wirklich so gut ist, was wir mit uns und dem Planeten Erde so anstellen. Im weitesten Sinne handelt dieser poetische Ratgeber von Entschleunigung und der Besinnung auf die wichtigen, relevanten Dinge. „Anleitung zum Gehen“ ist wunderschön gestaltet, viel Weißraum, sehr clean, aber Bilder und Zitate kommen dadurch richtig gut zur Geltung. Eigentlich ist das Buch Urlaub für die Augen. Seinen Urlaub schien Edo Popovic ziemlich häufig mit Wandern und Bergsteigen verbracht zu haben. Das nimmt ab der zweiten Hälfte des Buchs ziemlich viel Platz ein und nervte mich etwas. Aber das ist mein einziger Kritikpunkt.
Für mich war das Lesen von „Anleitung zum Gehen“ sehr erholsam und entspannend. Manchmal braucht man jemanden im Leben, der einen fragt, ob es wirklich so schön ist, dass sich hinter dem eigenen Rücken der Blödsinn im Regal stapelt. Man besitzt zu viel Schnulli und eigentlich frage ich mich ständig, wo der herkommt und ob man den auch sinnvoller verwenden könnte. Jetzt wäre die passende Gelegenheit, um ein Untergangslied auf den Kapitalismus anzustimmen, aber das lassen wir heute mal.
Wir haben nur das, nur das ist uns gegeben. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft, sondern nur dieser kurze Augenblick der Gegenwart. – S. 37
Zu Beginn des Buchs fragt Edo Popovic, was sich eigentlich verändert, hat seit der Zeit, als wir als Affen auf Bäumen saßen. Im Grunde fällt die Antwort ziemlich ernüchternd aus. Der Mensch schwitzt, friert und hat auch immer noch Hunger. Die launen der Natur können wir auch heute noch nicht voraussagen. Was sich wirklich geändert hat, ist unsere Geschwindigkeit und wir haben mehr Angst. Wir bewegen uns wahnsinnig schnell auf dem Planeten, machen irgendwelche extrem wichtigen Aufgaben, aber wirklich ein Ziel haben wir auch heute nicht. Die wenigsten Sachen, die wir machen, fallen nicht dem Nihilismus anheim, wenn man genauer über sie nachdenkt. Aber dafür haben wir mehr Angst. Als der Mensch noch ein Affe war, gab es die Angst gefressen zu werden von irgendwelchen wilden Tieren oder durch Naturkatastrophen und Feuer drauf zu gehen. In Europa muss man vor Wildtieren nur noch selten Angst haben, aber Feuer und Naturkatastrophen lehren uns immer noch die Furcht. Dazu gekommen ist die Angst vor dem beruflichen Versagen, die Angst die Kreditrate nicht mehr finanzieren zu können, die Angst, dass irgendwas kaputt geht von dem Blödsinn im Regal, die Angst es der Gesellschaft oder Familie nicht Rechtmachen zu können, die Angst zu faul zu sein, … Ich höre an dieser Stelle besser auf, sonst können wir alle heute nicht mehr ruhig schlafen. Rein objektiv geht es uns besser als damals, aber subjektiv unterziehen wir uns einem ziemlichen Terror.
Wir hören nicht, wir sehen nicht, wir verstehen nicht, und falls wir nach all dem noch etwas verspüren, dann ist es Leere. Eine riesige Leere klafft in uns, und wir müssen etwas tun, um sie zuzuschütten. – S. 49
Das geht mit der Wahrnehmung von Zeit weiter. Ständig verplanen wir unsere Tage. Während wir brav alle Termine schön abarbeiten, nehmen wir dann unser Leben nicht mehr war aus lauter Hektik. Das ist doch auch nicht richtig. Aber wie sollte der Mensch etwas ändern können? Edo Popovics Erkenntnisse sind nicht neu, aber wirklich eine Änderung vollführt der Mensch nicht.
„Anleitung zum Gehen“ lehrt dem Leser eine gewisse Ehrfurcht vor dem Selbst. Es zeigt, dass nicht immer das wichtig ist, was wir für wichtig halten. „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Das wusste schon Kafka. Nach Edo Popovic denke ich eher, ein Buch muss die Axt sein für das stürmende und ewig gierige Meer in uns sein. Dieses Meer steckt in jedem von uns und es frisst sich beharrlich und unaufhaltsam durch die Welt, es rafft, soviel es kann.
Fazit
Es ist Urlaubszeit, wir haben Zeit zum Nachdenken, wir haben Zeit zum Lesen. Lest „Anleitung zum Gehen“ und denkt über die wichtigen Dinge nach.
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