Immer wieder ertappe ich mich, wie ich stundenlang Twitter, Facebook oder Instagram durchscrolle. Meistens abends auf dem Sofa oder auch in der Straßenbahn. Dann merke ich gar nicht mehr so richtig, was um mich herum passiert. Aber häufig bin ich danach etwas ernüchtert: Ich merke, wie sehr es mich anstrengt, die neusten Schreckensmeldungen aus aller Welt zu lesen oder Trends in welchen Bereichen auch immer zu verfolgen. Es raubt mir die Energie. Aber aufhören kann ich damit trotz dieser Erkenntnis nicht. Meistens ist es eine Mischung aus Langeweile und Neugier, die mich dazu bringt, mein Smartphone in die Hand zu nehmen und die Twitter-App zu öffnen. Es ist die Angst, etwas zu verpassen.
Sibylle Berg ist toll. Ich bin ein großer Fan dieser Frau und mag ihre Art zu schreiben und die Welt zu kritisieren. Die Zeit, bevor ihr neues Buch „GRM“ erschien, ließ sich nur schwer aushalten und dann hatte ich das Buch aber endlich in den Händen. Um meine Vorfreude noch künstlich ein wenig hinauszuzögern, habe ich dann erstmal alle Beiträge von Sibylle Bergs Instagram-Account angeschaut und über die Beiträge herzhaft gelacht. Zum Beispiel über diesen hier:
In QualityLand lautet die Antwort auf alle Fragen: OK
Die Zukunft stimmt optimistisch: Alles ist gut. Alles ist optimiert. In sämtlichen Bereichen des Lebens – egal ob Arbeit, Freizeit oder Beziehungen – haben nun die Algorithmen das Sagen. Sämtliche Transaktionen können mittels Kuss auf das Display des QualityPads getätigt werden. Bargeld ist schon längst obsolet. Aber das ist nur der Anfang: Autos fahren selbst und betätigen sich dabei noch in Small Talk mit dem Fahrgast. Die mühevolle Suche nach Produkten hat auch ein Ende: Wer im Programm von „OneKiss“ teilnimmt, wird ganz automatisch von Drohnen mit Dingen beliefert, von denen er noch nicht einmal wusste, dass er sie möchte. Die Algorithmen von „OneKiss“ nehmen die Wünsche und Bedürfnisse von Kunden also vorweg und überraschen ihre Kunden mit neuen Produkten. In eine Bar oder Disco geht in Zeiten von „QualityLand“ schon längst niemand mehr, um einen neuen Partner kennenzulernen. „QualityPartner“ weiß es ohnehin viel besser, wer zu wem passt, und ermittelt ganz automatisch die große Liebe. Es gibt sogar Rabatt, wenn man seinen aktuellen Partner verlässt.
Peter Arbeitsloser
In dieser Welt lebt Peter Arbeitsloser. Die klassischen Nachnamen wurden durch ein zeitgemäßeres System ersetzt. Als Mädchen erhält man den Beruf der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt als Nachnamen, bei Jungen ist es der Beruf des Vaters. Der Stallgeruch eines jeden Menschen kann so problemlos am Nachnamen erkannt werden. Und wenn das noch nicht reicht, dann gibt es da noch das QualityLevel. Eine Score, den jeder Mensch zugeordnet bekommt anhand von Alter, Vermögen, Einfluss, Beruf, Aussehen und weiteren Faktoren. Anhand des QualityLevels wird natürlich auch wieder berechnet, welcher QualityPartner zu wem passt. So ist auch das letzte Milieu vom anderen hermetisch abgeriegelt.
Aber zurück zu Peter Arbeitsloser: Er ist die Titelfigur in Marc-Uwe Klings Roman „QualityLand“ und betreibt eine Schrottpresse, um defekte oder nicht mehr benötigte Maschinen und Roboter zu verschrotten. Keiner außer ihm weiß, dass er seine Kunden gar nicht einstampft, sondern rettet und in einem Raum im Keller seines Hauses versteckt hält. Um den Konsum zu schützen, ist jede Art von Reparatur verboten. So will es das Gesetz. Peter Arbeitsloser ist so ganz anders als der Rest der Menschheit in „QualityLand“. Alle anderen wirken vollkommen oberflächlich und zuweilen sogar verblödet. Aber wie könnte es auch anders sein, wenn die Algorithmen das Denken übernehmen?
John of Us
Bald wird die Präsidentin des Landes QualityLand sterben. Nur noch etwa 66 Tage hat sie zu leben. Das haben kluge Computer prognostiziert. Ein Nachfolger muss schnellstmöglich gefunden werden! Das allein ist schon ungewöhnlich, aber noch ungewöhnlicher ist, dass ein Roboter mit Namen John of Us als nächster Präsident kandidiert. Eine künstliche Intelligenz weiß besser als jeder menschliche Kandidat, was besser für das Volk des eigenen Landes ist. Der Gegenkandidat ist ein AfD-Verschnitt, der mit alternativen Fakten so um sich wirft und natürlich beliebter als John of Us bei den Wählern ist. Die Stimme der Vernunft möchte keiner hören, obwohl sie sich tatsächlich für die Benachteiligten in der Gesellschaft einsetzt. Dieser Wahlkampf ist höchstparadox und spiegelt darin das ganze Buch von Marc-Uwe Kling wieder.
Kein Land, in dem ich Leben möchte
Der Stoff, den Marc-Uwe Kling in „QualityLand“ beschreibt, ist überaus spannend und komplex. Beim Lesen fühlt man diese Komplexität aber nicht als Leser. Wie schon in der „Känguru-Trilogie“ schreibt Marc-Uwe Kling leichtfüßig, sehr humorvoll und ehrlich. Die Sprache ist leicht verständlich und eingängig. Das Känguru hat übrigens auch einen Auftritt in „QualityLand“. Böse Zungen könnten behaupten, dass „QualityLand“ einfach nur ein deutscher Abklatsch von Dave Eggers „The Circle“ ist, aber das finde ich ungerecht. In der Konsequenz würden alle weiteren Romane nach „The Circle“ über Digitalisierung und eine nahe Zukunft so genannt werden müssen. Dabei lässt sich „QualityLand“ wesentlich besser lesen als Dave Eggers Roman.
Die Geschichte ist so spannend, weil sie eine Zukunft beschreibt, die bald so eintreten könnte. Bei Marc-Uwe Kling wirkt das zunächst lustig, aber beim genaueren Nachdenken, ist es beängstigend. Der Konsumismus wird in „QualityLand“ auf die Spitze getrieben. Geld ist in dieser Welt definitiv der Zweck und nicht mehr nur ein Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse. Es ist gruselig, wie nah wir an dieser Dystopie mit unserer Realität sind. Nach dem Lesen von „QualityLand“ habe ich mich wirklich gut unterhalten gefühlt, aber ich wusste auch, dass ich in dieser Welt nicht gern leben möchte.
Der Unterschied zwischen der hellen und der dunklen Ausgabe von „QualityLand“
Beim Schreiben des Buches kam Marc-Uwe Kling schon früh die Idee, seinen Roman selbst zu Personalisieren. So wie die ganze Welt in „QualityLand“ von der Personalisierung und der Absurdität dieser geprägt ist. Die eigentliche Geschichte ist also in beiden Ausgaben gleich, aber zwischen den Kapiteln gibt es Nachrichten und Werbung zu sehen. Diese sind zwischen der hellen und der dunklen Ausgabe unterschiedlich. Am Ende einer jeden Ausgabe steht dann ein Link, der zu den Nachrichten der anderen Ausgabe führt. Man verpasst also nichts, wenn man nicht beide Ausgaben kauft.
Marc-Uwe Kling: QualityLand. Ullstein Verlag: ISBN: 978-3550050152. 384 Seiten. 18,00 €.
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Pinkfisch
Die Liebe in den Zeiten der Digitalisierung
Stephan Porombka schreibt nicht einfach Sachbücher oder Romane. Er schreibt Experimente und interaktive Bücher. „Es ist Liebe“ handelt von der Liebe über Smartphones und dem Beginn einer neuen Romantik. Lange Liebesbriefe auf Papier werden nicht mehr geschrieben, aber das bedeutet noch längst nicht, dass es damit keine Liebe oder Romantik mehr gibt. Es ist nicht das Ende der Kultur! Liebe drückt sich jetzt anders aus – durch die kleinen Textnachrichten meines Freundes über Whatsapp oder die niedlichen Tierbilder, die meine Freundin immer auf Facebook mit mir teilt. Durch das Smartphone sind plötzlich ganz andere und neue Geschichten möglich.
Diese neuen Geschichten von der Liebe, die wir uns erzählen können, sind viel interessanter als die großen pessimistischen Thesen. Weil diese Geschichten von Details berichten, von Kleinigkeiten, von Absonderlichkeiten, von kleinen Bewegungen und Wendungen, die wir so noch gar nicht kannten.
(Aus: „Es ist Liebe“ von Stephan Porombka, Seite 45 f.)
Mit „Es ist Liebe“ kämpft Stephan Porombka gegen den Kulturpessimismus und dagegen, dass die Digitalisierung alles zerstört, was kulturell wertvoll ist. Denn das stimmt nicht, Digitalisierung verändert bloß die Kultur, sie zerstört sie nicht. Deshalb rät Stephan Porombka großzügig, dass man von Leuten, die das nicht verstehen, einfach weggehen sollte. Gerade wenn diese Pessimisten noch nie selbst mit dem Smartphone, Facebook oder Tinder experimentiert haben und einfach so ihre Weisheiten mit der Welt teilen ohne sich wirklich informiert zu haben.
Es ist Liebe
Dieses Buch ist eine Anleitung, wie man die Liebe in Zeiten der Digitalisierung begreifen kann. Stephan Porombka schlägt immer wieder Dinge vor, die man doch einmal ausprobieren sollte. Er ruft zum Mitmachen auf und das Buch selbst ist auch keine Prosaabhandlung in Fließtext ohne Absätze. Wichtige Erkenntnisse und Aufforderungen bekommen Platz eingeräumt – auf ganzen Seiten dürfen sie wirken. Das ist auch schön anzuschauen.
„Es ist Liebe“ ist so ungewöhnlich und überraschend, dass ich beim Lesen auch an mir selbst gezweifelt habe und dann wenige Seiten später wieder begeistert war. Manchmal dachte ich, Stephan Porombka denkt sich da gerade nur wieder einen weiteren grandiosen Quatsch aus und dann wieder, dass er mir eine völlig andere Seite meines Smartphones zeigt. Gerade deshalb glaube ich auch nicht, dass „Es ist Liebe“ jedem Leser gefallen wird, wohl aber denen, die immer auf der Suche nach neuen Lese- und Denkerlebnissen sind. Am besten liest sich das Buch, wenn man ganz offen ist, für das, was da kommt und sich einfach auf eine Entdeckungsreise zur Liebe begibt.
Stephan Porombka: Es ist Liebe. Hanser Verlag. ISBN 978-3446256705. 176 Seiten. 16,00 €.
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