Rocko Schamoni schreibt in seinem neusten Roman über eine Welt, die meiner gänzlich fremd ist und vielleicht fand ich diesen Roman auch deshalb so spannend. In „Große Freiheit“ geht es um das St.Pauli der Sechziger Jahre – dem Sehnsuchtsort für die Gegenkultur, dem Ort für Drogen, für Sex und für vermeintliche Freiheit.
Die Leipziger Buchmesse ist, wie ihr euch sicher vorstellen könnt, immer ein sehr wichtiger Termin für mich Buchling. Vergangenes Wochenende war es wieder soweit und ich habe auch einige schöne Entdeckungen machen können, die ich euch vorstellen möchte. Wen interessiert, was ich auf der Leipziger Buchmesse sonst noch so gemacht habe, dem kann ich einen Besuch auf meinem Instagram-Account empfehlen.
Leben, Blog & Bücher
Wie bist du derjenige geworden, der du bist?
Was für eine knifflige Frage zum Einstieg. Bei der Beantwortung hilft mir ein Zitat aus einem meiner Lieblingsbücher, nämlich die letzten beiden Sätze aus Sven Regeners „Herr Lehmann“. Dort heißt es: „Ich gehe erst einmal los, dachte er. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“ Das ist für mich die perfekte Lebensphilosophie, denn vom Planen halte ich nicht viel. Die typische Vorstellungsgesprächsfrage „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ halte ich für vollkommen absurd, denn woher soll ich wissen, was in fünf Jahren sein wird?! Vieles in meinen Leben hat sich irgendwie ergeben, weil ich es nicht geplant, aber auch, weil ich es dann einfach gemacht habe. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass es dabei auch Zeiten gab, in denen ich das Gefühl hatte, mit dem Rücken an der Wand zu stehen und nicht weiter zu wissen. Aber irgendwie hat sich dann immer etwas Neues ergeben.
Worum geht es in „Stella“?
Das Buch „Stella“ von Takis Würger ist aus der Sicht von Friedrich geschrieben. Friedrich ist ein junger Schweizer, der im Prinzip 1942 von seinem Zuhause flüchtet. Er flüchtet, weil seine Familie zwar wohlhabend, aber sehr kaputt ist. Da wäre beispielsweise seine Mutter, die Künstlerin ist, aber eben auch Alkoholikerin und die nicht darüber hinwegkommt, dass Friedrich seit einem Unglück in der Kindheit keine Farben mehr sehen kann. Denn eigentlich sollte auch er Künstler werden. Dann wäre da noch Friedrichs Vater, der zwar sehr gutmütig und offen ist, aber leider nie daheim, weil er wegen seiner Geschäfte die ganze Welt bereist. Im Grunde übernimmt die Köchin der Familie mehr die Elternrolle für Friedrich als es seine leiblichen Eltern jemals geschafft haben.
Also kein Wunder, dass Friedrich 1942 von Zuhause weg möchte. Warum es ausgerechnet das tosende Berlin wurde ist auch relativ schnell klar, denn Friedrich hat bei einem Gespräch aufgeschnappt, dass in Berlin sogar die Friseure so frei sind, dass sie die Wahrheit sagen, aber andererseits wird gemunkelt, dass im Scheunenviertel nachts die Juden abtransportiert werden. Doch was ist wahr? Ist Berlin eine Stadt der Freiheit oder der Gewalt?
Friedrich ist nicht lang in Berlin und trifft auf eine mysteriöse Frau, die wild und äußerst faszinierend ist. Natürlich dauert es nicht lang und Friedrich verliebt sich in die Frau, die sich wenig später als Stella Goldschlag entpuppt. Die Jüdin, die für die Nationalsozialistin als sogenannte „Greiferin“ arbeitet und andere Juden verrät und ausliefert.
Wie weit würdest du gehen?
„Stella“ von Takis Würger ist sehr spannend, allein durch die Figur der Stella Goldschlag und ihre Entscheidungen beziehungsweise Taten. Warum verrät sie so viele Menschen? Wie kann ein Mensch so faszinierend und gleichzeitig so schrecklich sein? Und vor allem habe ich mich gefragt, wie weit ich gegangen wäre, wenn ich Stella gewesen wäre: Hätte ich auch andere an die Nationalsozialisten ausgeliefert? In dieser Weise ist jedes Kapitel des Buchs moralisch und eine Frage der Schuld.
Genauso wie die Person Stella Goldschlag ist auch das Buch „Stella“ ambivalent, denn es ist zwar spannend, aber mit knapp 220 Seiten extrem kurz und beim Lesen hatte ich manchmal das Gefühl, dass etwas fehlt als hätte Takis Würger an der einen oder anderen Stelle zu radikal gekürzt. Die Figur des Friedrich ist gut gezeichnet: Als Leserin konnte ich den lieben, guten Friedrich nur mögen. Dieser arme Tor aus der Schweiz, der sich ausgerechnet die falsche Frau als erste große Liebe aussucht.
Aber was ist mit Stella? Stella bleibt im Buch ein Geist. Taucht auf und nimmt sich egoistisch, was sie will. Zu kurz kommt, meiner Meinung nach, die Seite an Stella, die gut ist und verständlich macht, aus welchen Gründen Stella handelt, wie sie handelt. Ich finde, genau da hätte Takis Würger seinen Lesern die Bewertung von Stella nicht so leicht machen dürfen. Nichtsdestotrotz kann ich „Stella“ empfehlen: Es ist ein gutes Buch über eine wirklich tragische Geschichte, die fesselt.
Gerade deshalb habe ich mir übrigens die Biografie über Stella Goldschlag von Peter Wyden bestellt. Peter Wyden war ein Klassenkamerad von ihr und beschreibt ihre gesamte Lebensgeschichte in seinem Buch. (Das Buch ist leider vergriffen.) Vielleicht lese ich es in meiner Badewanne, während Stella am anderen Ende Sekt trinkt.
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Poesierausch
Der Wolf kam aus den Bergen, und mit ihm kamen andere Wölfe, kamen ins Flachland. Drangen in Gebiete vor, in denen man sie nie zuvor gesehen hatte. […] Auch ich drang in Gebiete vor.
-Aus: „Hier ist noch alles möglich“ von Gianna Molinari
Hier ist noch alles möglich.
Eine junge, namenlose Frau kommt in eine fremde Stadt. Sie wird als Nachtwächterin in einer Karton-Fabrik angestellt und wechselt sich jede Nacht mit dem anderen Nachtwächter, Clemens, ab. Diese namenlose Frau ist die Ich-Erzählerin des Buchs „Hier ist noch alles möglich“ von Gianna Molinari und sie könnte genauso gut du oder ich sein. Sie schaut auf stundenlang auf Überwachungsmonitore. Nur die Kontrollgänge durchbrechen diese Tätigkeit, dann überprüft sie die Türen und die Zäune. Besonders die Zäune sind wichtig, seit der Koch einen Wolf bei den Containern gesehen hat als er die Essensreste entsorgen wollte. Es darf keinen Wolf auf dem Gelände der Fabrik geben.
Die junge Nachtwächterin macht sich in jeder Nachtschicht auf die Suche nach dem wilden Tier und mit jeder Nacht wird die Suche nach dem Wolf auch eine Suche nach ihrem Selbst. Die Grenzen verschwimmen zwischen Realität und Fiktion. Gibt es den Wolf wirklich?
Eigentlich ist nichts mehr möglich.
Clemens, ihr Kollege, fragt die Nachtwächterin, warum sie ausgerechnet hier angefangen hat, schließlich könnte sie auch studieren oder reisen. Aber der namenlosen Erzählerin gefällt es in dieser Fabrik: „Das ist ein guter Ort. Hier ist noch alles möglich.“ Obwohl an diesem Ort eigentlich nichts mehr möglich ist, denn die Fabrik soll bald geschlossen werden. Viele Arbeiter haben schon gekündigt und mit ihren Glanzzeiten ist die Anlage ohnehin schon längst nicht mehr zu vergleichen. Dieser Ort läuft auf Sparflamme und bald wird es ganz dunkel sein. Aber weil hier nichts mehr passiert, bietet die Fabrik der Erzählerin auch so viel Platz für ihre eigenen Gedanken.
Ich möchte ihm gerne sagen, dass ich mich dafür entschieden habe, nicht an einem Ort zu verharren, mich nicht festzulegen, mich nicht an einen Lebenslauf zu halten, nicht Teil von einer einzigen Geschichte zu sein, sondern, wenn überhaupt, dann von vielen Geschichten zugleich.
-Aus: „Hier ist noch alles möglich“ von Gianna Molinari
Gianna Molinari ist eine überaus talentierte Autorin und ihr Debüt „Hier ist noch alles möglich“ ist sprachgewaltig. Immer wieder bringt sie Sätze, die mich umhauen. Sätze, die man auch als Stencils auf Gehwege sprühen könnte – als Grenzüberschreitung, wie auch der Wolf mit dem Betreten des Fabrikgeländes eine Grenze überschreitet. Gianna Molinari ist ein Wolf, der in fremde Gebiete vordringt mit ihrem Debüt.
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Über das Schreiben und Veröffentlichen von Büchern
Kia, du bist Autorin. Wie kam es dazu?
Hallo Janine! Danke, dass du mich interviewst. Ich schreibe total gerne und schon sehr lange. Nachdem das Schreiben nach der Grundschulzeit aus meinem Fokus geraten ist, weil mir Piper für mein erstes 60-seitiges Buch, das ich mit 10 geschrieben habe, abgesagt hat, bin ich etwa 2013 wieder darauf gekommen. Piper war damals der einzige Verlag, den ich kannte, oder mein Lieblingsbuch kam von dem Verlag; ich weiß es gar nicht mehr. Ich habe mit einem Ratgeber angefangen und habe den einfach bei Kindle Direct Publishing reingeworfen. Dann habe ich zum ersten Mal gesehen, dass man als Selfpublisher sehr leicht Geld verdienen kann und habe die Schwelle zum belletristischen Schreiben mit ernsten Absichten überwunden. Ja, ich denke, so lässt sich das zusammenfassen.
Warum schreibst du unter Pseudonym? Was bedeutet Kia Kahawa?
Kia Kahawa ist mein Name. Der Name, den ich selbst gemacht habe. Das Pseudonym steht für alles, was ich mir selbst aufgebaut habe. Mein Klarname hat im Internet nichts zu suchen, und ich war schon als Teenager nur unter Pseudonym unterwegs. Das hat angefangen als ein Nicht-gefunden-werden-wollen und ist heute eben dieses „Ich bin, was ich mir aufgebaut habe“. Kahawa ist Suaheli und heißt Kaffee. Das kommt noch aus meiner Abitur-Zeit, in der ich neben der Schule arbeiten musste, um mir Nachhilfe in Physik zu leisten und mich noch fünf, sechs Stunden am Tag zusätzlich auf mein Musikstudium vorbereitet habe. Da habe ich eine Kanne Kaffee am Tag getrunken. Das mache ich natürlich heute nicht mehr – und wenn ich Kaffee trinke, ist er koffeinfrei.
Was wolltest du als Kind werden?
Alles! Ich wollte Archäologin, Schriftstellerin, Fotografin, Künstlerin, Millionärin, Reisebloggerin und Musikerin werden. Die Betonung liegt hier auf dem „und“ – ich wollte immer alles und zwar sofort. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich heute so viele Interessen und Hobbies habe und auch dass mein Beruf eigentlich aus drei Berufen besteht.
Über welche Themen schreibst du? Was hast du bisher veröffentlicht?
Ich schreibe einerseits Entwicklungsromane, in denen die Protagonisten ihre eigenen Antagonisten sind, und andererseits Utopien, die auch ein bisschen dystopisch sein müssen. Veröffentlicht habe ich bisher nur „Die Krankheitensammlerin“, meinen Debütroman im Selfpublishing. Aber ich habe für „Irre sind menschlich“ einen Verlag und der Roman wird im März 2019 rauskommen. Insgesamt veröffentliche ich mal bei Verlagen und mal im Selfpublishing. Gerade liebäugele ich auch mit einem Selbstverlag. Unter’m Strich würde ich sagen, ich bin Hybridautorin durch und durch.
Warum wurdest du zur Hybridautorin?
Das war keine aktive Entscheidung. Ich wollte schon immer bei Verlagen veröffentlichen. Als ich aber zum Schreiben kam, habe ich gemerkt, wie einfach es ist, im Selfpublishing erstes Geld zu verdienen. Die Krankheitensammlerin war ein Projekt, das ich nach eigenen Vorstellungen „ins Blaue hinein“ machen wollte. Der zweite Roman sollte da schon größer werden und ab dann wollte ich zum Verlag. Für „Hanover’s Blind“ hatte ich drei Zusagen von Verlagen, aber die Bedingungen gefielen mir nicht. Ich sollte die Novelle aufblähen, eine Reihe daraus machen oder ein bestimmtes Thema in den Vordergrund holen. Das wollte ich nicht, und da habe ich mich aktiv dazu entschieden, mein eigenes Ding zu machen. Ob ich auf Dauer Selfpublishing neben meinen Verlagswerken beibehalte, lasse ich mir allerdings offen. Ich mag es, Entscheidungsgewalt zu haben, aber ich mag es auch, einem Verlag die Risiken, Haftung und Investitionen zu überlassen.
Was ist dein aktuelles Buchprojekt? Worum geht es und wie kam es zur Buchidee?
Mein aktuelles Projekt heißt „Hanover’s Blind“. Es geht um den sehbehinderten Studienabbrecher Adam, der nach Hannover immigriert, um ein Leben auf eigenen Beinen aufzubauen und sich dabei nicht nur mit dem geringsten Übel zufrieden zu geben. Auf die Idee kam ich im Tanzkurs. Ich habe meinen Partner immer geführt. Also ich habe „gegen ihn“ geführt und wir standen uns sehr im Weg. Die Tanzlehrerin hat mich in einer Privatstunde gezwungen, blind zu tanzen. Und dann musste ich meinem Partner vertrauen und plötzlich funktionierte alles. Daraufhin kam dann die Idee, etwas über Sehbehinderung oder Blindheit zu schreiben und dabei zu betonen, dass diese Behinderung nicht immer nur einschränkend ist.
Warum gerade Crowdfunding?
Im Selfpublishing hat man ein hohes Risiko. Ich habe nicht die Mittel, dreitausend Euro zu investieren, um mein neues Projekt einfach so rauszubringen. Natürlich kann ich die Mittel zur Seite legen, indem ich ein Jahr jeden Monat Geld zurücklege und „Hanover’s Blind“ dadurch finanziell selbst veröffentlichen. Aber Crowdfunding ist viel mehr. Wenn mich Blogger unterstützen, kommt natürlich Kontakt zustande. Das stärkt extrem und geht über schlichtes Networking hinaus. Ich mag Win-Win-Situationen total gerne und schätze die Menschen, die hinter den Blogs stecken, sehr. Wir unterstützen uns gegenseitig. Durch die Crowd, die hinter meinem Projekt steht und es (mit-)finanziert, sehe ich, dass das Buch überhaupt markttauglich ist. Jeder Unterstützer ist ein potentieller Fan und Leser, und so verkaufe ich quasi bereits Bücher, bevor „Hanover’s Blind“ veröffentlicht ist. Dieser Marketingeffekt geht nicht nur in die Kalkulationssicherheit, sondern hebt auch mein Selbstwertgefühl extrem.
Worin liegen die besonderen Schwierigkeiten im Selfpublishing?
Die Schwierigkeiten liegen im Marketing und in den Investitionen. Als Selfpublisher geht man in Vorleistung und investiert einen vierstelligen Betrag, um das Werk professionell auf den Markt zu bringen. Schwierig finde ich tatsächlich die Arbeit mit den Distributoren. Man hat eine Plattform, auf der man sich die Bücher on Demand holen kann und bezahlt dabei sehr viel für die Eigenexemplare. Im Grunde ist Selfpublishing eine Fusion der Nachteile des Selbstverlags und der Nachteile eines Verlagsvertrags. Das klingt jetzt vielleicht pessimistisch, aber natürlich gibt es einige viele Vorteile, die die kombinierten Nachteile überwiegen. Beispielsweise verdient man im Selfpublishing ähnlich wenig wie bei einem Verlag. Schon doppelt so viel, aber es ist immer noch ein Bruchteil dessen, was man mit einem Selbstverlag verdienen könnte. Im Gegensatz zu einer Verlagsveröffentlichung hat man im Selfpublishing die bereits genannten Investitionen. Es ist ein höheres Risiko, als wenn man beim Verlag ist.
Wie machst du als Autorin auf dich aufmerksam? Was funktioniert und was funktioniert nicht?
Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Ahnung. Beziehungsweise habe ich noch keine Zeit gehabt, auf mich aufmerksam zu machen. Ich bin auf Twitter und meinen Blogs aktiv und erreiche so andere Autoren. Im B2B-Bereich werde ich dadurch Schritt für Schritt bekannter. Was nicht funktioniert: Durch Social Media Leser erreichen. Facebook soll da der Geheimtipp sein, aber ich hatte da bisher noch keine Zeit und Muße gehabt, mich damit auseinanderzusetzen. Das wird diesen Sommer anders. Was ich am Ende des Jahres zu berichten habe, bleibt abzuwarten.
Was sollten Autoren deiner Meinung nach niemals tun?
Alles, was ich falsch gemacht habe!
Ich hätte es schön gefunden, wenn mir jemand in meinen Anfangszeiten gesagt hätte, was man alles falsch machen kann. Die Liste der Dinge, die Autoren niemals machen sollten, ist lang, und ich habe fast jeden Fehler selbst begangen. Beispielsweise sollte man niemals in Shoutout-Twitter-Accounts investieren. Da bezahlt man Geld dafür, dass jemand dein Buchcover mit Link auf seinen Kanälen bewirbt. Klassische „Kauf das Buch!!!“-Werbung. Die ist nur nervig und solche Accounts bestehen nur, um zielgruppenlos irgendwelche Bücher zu „promoten“. Was man auch niemals tun darf: Ein Buch unlektoriert veröffentlichen. Das verbrennt den Namen und tut nicht gut. Oder sich einem Autorenverein anschließen, der nur Zeit frisst und keinen Nutzen hat.
Noch schlimmer: Kostenlos arbeiten. Das geht gar nicht. Liebe Autoren, haltet niemals eine kostenlose Lesung. Schreibt keine kostenlosen Beiträge, es sei denn, es sind eure Gastartikel. Betreibt keinen Linktausch und verschenkt nicht Rezensionsexemplare an Buchblogger, deren Zielgruppe und Reichweite nicht für euch stimmt. Lektoriert nicht kostenlos, es sei denn, ihr seid Testleser. Coacht niemanden ohne dass ihr euch dafür entlohnen lasst, es sei denn, ihr macht Leistungsaustausch und seid in einer Win-Win-Situation. Ich habe dahingehend mein Lehrgeld bezahlt und 2017 regelmäßig kostenlose Arbeit im Wert von locker einer Monatsmiete jeden Monat geleistet. Die Buchbranche ist kaputt und muss in gewisser Weise repariert werden. Ach, und – unterschreibt niemals irgendeinen Verlagsvertrag, ohne ihn zu verhandeln.
Inspiration
Wo findest du deine Ideen für Bücher?
Überall. Die Ideen finden eher mich. Mit meinem Co-Autor Florian Eckardt beispielsweise schreibe ich an einer dystopischen Utopie „Der Abschalter“. Die Inspiration für diese Idee war nur ein makaberer Artikel über eine Wachs-Oma, die nach dem Tod nicht zersetzt wurde, sondern wegen der im Leben aufgenommenen Chemikalien im Sarg konserviert wurde.
Oder ich beobachte Menschen, gerate in Situationen und spinne mir alternative Wege zurecht, wie es dazu kommen konnte. Oder – ganz klassisch – ich stehle Ideen. Das ist völlig normal unter Künstlern. Wir Autoren müssen das Rad nicht neu erfinden. Die Idee eines sehbehinderten Protagonisten, der seine Behinderung verheimlicht, ist nicht neu. Inspiriert wurde ich durch „Mein Blind Date mit dem Leben“, nachdem ich meine Tanzkurs-Idee hatte. Insgesamt wurde dann daraus eine Geschichte, und ich bin sicher, durch die ca. 17 Dokus, die ich gesehen habe, habe ich die ein oder andere Idee „geklaut“ und für mich übernommen. Wichtig ist beim Ideenraub, dass man sie sehr deutlich selbst einfärbt und völlig neu umsetzt. Das ist, als würde ich die Idee eines Steuerrads eines Piratenschiffs stehlen und daraus den Reifen für mein Fahrrad basteln.
Was machst du, wenn du nicht gerade schreibst?
Wenn ich nicht gerade schreibe, dann schreibe ich. Hauptberuflich bin ich Werbetexterin mit dem Schwerpunkt auf Online Content. Ich schreibe für insgesamt fünf Redaktionen derzeit etwa 35.000 Worte im Monat für neurolinguistische Programmierung und für Brettspiel-Rezensionen. Außerhalb allem, was mit dem Schreiben zu tun hat, drehe ich gerade an meinem kleinen Lebenswerk, ein Film, der nächstes Jahr rauskommen wird, oder ich coache andere Autoren. Mit meinem Wissen über Exposés und darüber, wie man eine Lesung vorbereitet, kann ich meinen Kollegen und Kolleginnen gut helfen. Das alles macht insgesamt meinen Beruf aus – neben E-Mail-Verkehr, Planung, Marketing, Fernstudium und meinen derzeit wöchentlichen Geschäftsreisen.
Hast du literarische Vorbilder? Welche?
Ich sag’s mal so: Ich würde gerne solche Charaktere schreiben wie Becky Chambers, eine Plotumsetzung haben wie Neal Shusterman und einen Schreibstil wie François Lelord und eine Plotstruktur wie Ernest Cline. Das wäre in meinen Augen dann das eierlegende Wollmilchbuch.
Welches Buch beschäftigt dich gerade ganz besonders und warum?
Gerade beschäftigt mich „Hanover’s Blind“, weil es mein Baby ist und ich Tag und Nacht daran arbeite. Aber das wolltest du vermutlich nicht wissen. Derzeit beschäftigt mich „Hochbegabt?“ von Elaine Reichardt, weil ich es einerseits rezensieren möchte und andererseits seit einigen Jahren schon glaube, dass meine Hochbegabung eine Einschränkung und keine Befähigung ist. Daher lese ich es gerade ein bisschen aus Selbsthilfe-Impulsen.
Die letzte Frage: Welches Buch sollte ich unbedingt lesen?
„Scythe“! Die Scythe-Trilogie ist wirklich umwerfend. Und wenn du auf tolle Charaktere und Beziehungen stehst, dann „Der lange Weg zu einem zornigen Planeten“. Wenn du den Sinn des Lebens verstehen willst, natürlich „The Why-Café“. Aber auch „Schwimmen ohne nass zu werden“ oder „Ready Player One“ kann ich uneingeschränkt empfehlen. Habe ich schon erwähnt, dass ich wegen der ganzen Crowdfunding-Arbeit keine Zeit mehr zum Lesen habe? Es fehlt mir sehr, und daher kann ich mich hier definitiv nicht auf eins beschränken, weil ich gerade am liebsten die Welt anhalten und sieben Tage durchgehend lesen würde. 😊
Vielen Dank für das Interview!
Vom 01. Juni bis 10. Juli läuft das Crowdfunding zu Kias neuer Novelle „Hanover’s Blind“. Du kannst die Umsetzung ihres Projektes auf https://www.startnext.com/hanovers-blind unterstützen.
„Blanca“ von Mercedes Lauenstein
Was ist das eigentlich für ein Name? Blanca? Es bedeutet weiß auf Spanisch. Wie das Nichts, wie eine leere unbeschriebene Tafel. Auf althochdeutsch heißt es glänzend und schön. Ich habe mir Blanca auch als schönes junges Mädchen vorgestellt, die keine Ahnung von ihrer Schönheit hat. Ein bisschen habe ich sie mir vorgestellt wie Isa aus Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“. „Isa heißt sie, und Isa wird den Menschen begegnen – freundlichen wie rätselhaften, schlechten wie traurigen.“ Genauso ist es bei Mercedes Lauenstein mit Blanca – sie begegnet auf ihrer Reise Menschen.
Blanca ist allein unterwegs, abgehauen von ihrer Mutter, weil sie es nicht mehr ertrug. Blanca ertrug nicht mehr die Kapriolen ihrer Mutter, ihre Ansichten und Ratschläge. Nach einem heftigen Streit, bei dem Blanca fast von einer Auflaufform erschlagen wird, läuft sie weg. Ihr Ziel der glücklichste Ort ihrer Kindheit: Das Haus von Toni und dessen Vater Karl auf einer kleinen italienischen Insel. Also packt sie ein paar Wechselklamotten und ihre gesamten Ersparnisse in einen Rucksack. Sie sucht eine Zukunft für sich ohne die billigen Zimmer, bei denen Blanca und ihre Mutter immer wieder unterkommen.
Nirgends ein Zuhause zu haben, ist mein Zuhause. Ich bin schon da. – Seite 247
Aber auch der Weg zu dieser kleinen Insel ist wild und aufregend. Beispielsweise wenn Blanca einen älteren Mann verführt und nicht einmal genau weiß warum oder sie Essensreste von Tellern in Restaurants klauen muss, weil gerade all ihr Geld alle ist. Unvergesslich ist auch die Höllenfahrt mit einem Taxifahrer, der absolut wahnsinnig geworden ist und der Moment, als ein zahnloser Bauer Blanca fragt, ob sie ihn heiraten möchte.
Nichts als Freiheit
So viel Freiheit bedeutet allerdings auch, nie ein Zuhause zu haben. Keine Geborgenheit, keine Normalität, keinen schützenden Ort. Keine Reise führt ans Ziel und nie gibt es ein Ankommen, sondern immer nur ein Gehen. Klar, ist das aufregend, aber es ist auch traurig. Besonders, wenn Blanca sich nichts sehnlicher wünscht als endlich an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren, wo sie einmal so etwas wie ein Zuhause hatte. Sie ist so sehr davon überzeugt, dass dieser Ort noch genauso existiert wie vor 10 Jahren und Karl und Toni für immer auf sie warten. Karl und Tonis Liebe hat Blanca in Gedanken konserviert. Es ist ironisch, dass Blanca liebend gern ihre Freiheit für ein bisschen Normalität aufgeben möchte. In den Szenen größter Einsamkeit hätte ich dieses wilde Kind am liebsten in den Arm genommen. Genau dann, wenn Blanca wieder vor Kummer „The Scientist“ von Coldplay singt, hätte ich sie gern bei mir wohnen lassen, wenn es nur geholfen hätte.
Und wenn die große Traurigkeit kommt, sage ich Hallo und ertrage sie. – Seite 247
In diesem Sinne bin ich wohl doch froh, dass ich mit dieser großen Freiheit nicht leben muss und stattdessen ein normales Leben habe. So kann ich die wilde Reise durch die Nacht mit Blanca und ihrer Mutter genießen.
Mercedes Lauenstein: Blanca. Aufbau Verlag. ISBN: 9783351037017. 256 Seiten. 20,00 €.
Online, online, online
Wibke, du bezeichnest dich selbst als Social Web Ranger. Was ist das? Und wie kann man so etwas werden?
Diese Bezeichnung ist wohl einzigartig, und sie entspringt letztlich einer Not: Eine passende, bereits existierende Bezeichnung für mein Tun habe ich nicht gefunden – zumal sich dieses Tun in einem sehr beweglichen Umfeld an der Schnittstelle zwischen virtuellem und physischen Raum fortlaufend verändert. Ich bin seit 2010 selbstständig und startete damals als Beraterin für digitale Kommunikation. Eines Tages erfuhr ich mehr über die Arbeit der Ranger im Nationalpark Eifel. Und im Grunde betreibe ich Natur- und Landschaftspflege im Landschaftsraum Internet, indem ich Besuchergruppen mit dorthin nehme, mein Wissen und meine Erfahrungen weitergebe und dieses durch eigene Forschungsprojekte vertiefe. So entstand der Social Web Ranger. Vielleicht muss ich mir bald etwas anderes ausdenken, denn eines Tages wird der Begriff „Social Web“ vermutlich ebenso abgewetzt sein wie „Web 2.0“.
Was wolltest du als Kind werden?
Lange Zeit wollte ich Tierärztin werden. Oder Reitlehrerin. Keine außergewöhnlichen Berufswünsche in einem Alter, in dem viele Mädchen über einen längeren oder kürzeren Zeitraum vom Pferdevirus befallen werden. Ich hatte mich den Pferden jedoch innerlich schon angeschlossen, als ich ihnen mit zweieinhalb Jahren im Urlaub zum ersten Mal begegnete. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Nach wie vor ist mein Leben ohne Pferde nicht vorstellbar. Von Berufen mit Pferden habe ich aber mit der Zeit Abstand genommen, denn man hat doch mehr mit den Menschen als mit den Tieren zu tun hat, und das auch noch in schwierigen Situationen (Leid oder Lernen). Das konnte ich mir auf Dauer nicht vorstellen.
Was hast du vor deiner Selbstständigkeit als Internet-Literatur-Botschafterin gemacht?
Gelesen! Ha, naja, auch. Ich bin 1998 der Buchbranche beigetreten und machte eine Lehre zur Sortiments-Buchhändlerin. Kurz zuvor hatte ich mein eher mittellanges (hust) Studium der Kunstgeschichte und Germanistik erfolgreich abgebrochen. Hätte ich früher gewusst, was es für vielfältige Berufe in der Buchbranche gibt oder dass es überhaupt sowas wie eine Buchbranche gibt, wer weiß?! Wir hatten ja nichts, damals auf dem Land. Schon gar keine Berufsberatung. Und Internet war auch noch nicht erfunden. Sozusagen.
Ich wurde dann recht schnell Filialleiterin einer Fachbuchhandlung in Aachen, zog aber schon bald weiter in einen Verlag. Zunächst arbeitete ich im O’Reilly Verlag und darauf als eine der ersten Online-Manager in der Patmos Verlagsgruppe in Düsseldorf. Als diese 2009 teilweise verkauft und der Rest zu Duden nach Mannheim umgezogen wurde, kam eins zum anderen.
Woraus besteht dein typischer Arbeitsalltag?
Einen typischen Arbeitsalltag gibt es nicht. Das ist meistens schön, manchmal aber auch lästig, weil ich mir meinen Arbeitsalltag immer wieder neu überlegen muss. Das ist abhängig von laufenden und künftigen Projekten. Mal sind es Tage des Schreibens oder Konzeptehäkelns im Heimbüro am Schreibtisch, mal sind es Reisetage zu Workshops, Tagungen oder Kundengesprächen.
Warum unterstützt du gerade Bibliotheken in der Onlinewelt?
Das war eine glückliche Fügung: Gleich von mehreren Seiten aus wurde ich vor einigen Jahren der Fachstelle für öffentliche Bibliotheken NRW empfohlen. 2009 wurde dort die Initiative Lernort Bibliothek ins Leben gerufen, in deren Rahmen öffentliche Bibliotheken Konzepte und Ideen für den digitalen und gesellschaftlichen Wandel entwickeln und an entsprechenden Förderprojekten und Fortbildungen teilnehmen können. Als Coachin arbeite ich seitdem freiberuflich mit, derzeit in einem zweijährigen Coachingprogramm für acht öffentliche Bibliotheken in NRW, in dem es um eine Leitidee für Social Media und die Integration von digitaler Kommunikation in den Alltag geht.
Ich empfinde meine Arbeit als sehr sinnstiftend, denn ich mag die Menschen in diesen Bibliotheken und bin voller Hochachtung vor ihrer Arbeit. Öffentliche Bibliotheken sind eine ur-demokratische Utopie und enorm wichtig für unsere Gesellschaft. Sharing war dort schon Thema, als es noch einfach Teilhabe und Teilen hieß. Mir ist ein großes Anliegen, die Sichtbarkeit von öffentlichen Bibliotheken im digitalen Raum zu erhöhen – und dadurch auch vor Ort.
Welcher ist dein aktuell liebster Social-Media-Dienst und warum?
Instagram und Twitter wechseln sich regelmäßig ab. Beide Dienste schätze ich, weil man dort über Interessen miteinander in Kontakt kommt. Ich habe viele wundervolle Menschen über Twitter und Instagram kennengelernt. Ich mag aber auch, beide Dienste für mich zur Dokumentation meines Alltags und zur Absonderung von Gedanken zu benutzen, in der ganz ursprünglichen Form des Microbloggings. Doch die Seele von Social Media bleiben für mich Blogs. Ohne die Langstrecke würde mir etwas Entscheidendes fehlen.
Was war dein schönstes Erlebnis als Onlinerin und warum?
Okay … Wieviel Platz habe ich? *glucks*
Es gibt inzwischen unzählige Geschichten, die ohne das Digitale so oder überhaupt niemals stattgefunden hätten. Das kann die herzliche Umarmung eines Menschen sein, den man nach längerer digitaler Freundschaft endlich mal „in Echt“ trifft. Das kann ein übermütiger oder tiefgreifender Schlagabtausch im Digitalen sein, der plötzlich und innig berührt.
Einige der schönsten Erlebnisse habe ich als eine der Herbergsmütter gehabt, dem Kölner Kulturkollektiv mit Ute Vogel und Anke von Heyl, die ich beide vor langer Zeit bei Twitter kennengelernt habe. Ob #kunstputz, der Flohzirkus, die #pantwitterspiele, unsere drei stARTcamps in Köln, #wirziehnfallera oder die Tweetups, bei denen wir Fluxus wiederaufleben ließen: Das alles wäre ohne das Internet nie möglich gewesen. Ebensowenig wie das #Blogsofa.
Was hat es mit dem #printtwitter auf sich? Wie kamst du auf die Idee?
Kein Frühstück ohne Tageszeitung. Und zwar eine aus Papier. Schon allein deshalb, weil mich die winzigen Nachrichten am Rande und die Kleinanzeigen immer noch am meisten reizen. In diesen Miniaturen finden sich Krümel großer Geschichten, vor allem dann, wenn man die wahre Geschichte dahinter nie erfährt. Eine Besonderheit in der Kölner Lokalzeitung scheinen die Kleinanzeigen unter „Glückwünsche und Persönliches“ zu sein, die wirklich (!) speziell sind. Gelesen hatte ich sie schon immer. 2012 wollte ich IFTTT ausprobieren, erfand für diese Anzeigen ein Hashtag, knipste sie fortan, richtete einen Tumblr ein und seitdem laufen alle meine Postings auf Instagram mit #printtwitter automatisiert in den Tumblr ein.
Über die Jahre hinweg lassen sich viele Fäden erkennen und manche Personen (Wolfgang und Karin!) tauchen immer wieder auf. #printtwitter war sogar mal im Fernsehen und auf der Bühne. Seit einer geraumen Weile wird es stiller im Kleinanzeigenteil der Zeitung. Ich glaube, die haben nun alle WhatsApp endeckt …
Woher nimmst du deine Kreativität?
Sie ist einfach da. Mal mehr, mal weniger. Mal mehr, wenn ich eigentlich ganz andere Dinge machen müsste. Mal weniger, wenn sie auf Knopfdruck und, bitteschön, kanalisiert funktionieren soll. Störrische Angelegenheit. Aber ich betrachte sie als ein Geschenk.
Welche Onlineaktion(en) in den letzten Jahren kannst du besonders empfehlen?
Ich mochte Deine Instagram-Challenge im letzten Jahr, denn darüber sind wir miteinander näher in Kontakt gekommen. Ich mag es, wenn mich solche Aufgaben und Challenges zum Nachdenken bringen. Übrigens geht es mir auch so mit Interviews, weshalb meine Antworten immer etwas länglich ausfallen. Akut finde ich die wöchentliche Sonntagsaufgabe #ichgebeauf von @kriegundfreitag fabulös.
Mich hatte ja auch völlig umgehauen, was für unglaublich berührende Geschichten Menschen im letzten Jahr bei der Challenge #ichleseunabhängig zur Woche der unabhängigen Buchhandlungen erzählten. Diese Challenge hatte ich mir zusammen mit Sarah Reul aka Pinkfisch und Florian Valerius aka @literarischerNerd ausgedacht. Und das war einfach großartig. Wird schwierig, da in diesem Jahr noch einen drauf zu setzen …
Liest du regelmäßig Buchblogs?
Eher unregelmäßig. Es wäre wohlfeil, es mit der fehlenden Zeit zu erklären. Lesen ist für mich etwas recht Privates – klingt das skurril? Daher schreibe ich relativ selten über eigene Lektüre. Manchmal kommen mir Bücher schon fast überbesprochen vor und ich kann sie erst Jahre später lesen. Allüberall Blogbeiträge zu einem Buch. Da habe ich dann mitunter den Eindruck, das Buch sei bereits von allen gelesen und braucht mich nicht mehr. Ja, klingt wirklich bekloppt. Was ich gern lese: Wenn eine Geschichte dazu erzählt wird und sich mir deutlich mehr vermittelt als ein umformulierter Klappentext.
Was könnten Buchblogs besser machen?
Tja, wer bin ich, darüber zu urteilen? Mich irritiert grundlegend, wenn ich den Eindruck habe, ein Buchblogs werde vor allem für andere geschrieben. Gerade in Blogs ist Eigensinn ja möglich. Nun gibt es Blogs, die journalistisch arbeiten wollen und/oder Geld mit ihrer Arbeit verdienen wollen. Ein Blick zum Journalismus und zur Anzeigenvermarktung in Online-Medien könnte verraten, dass das ein heikles und nicht immer in sich schlüssiges Unterfangen ist. Und es schlägt sich nicht selten im Inhalt nieder. Wenn Buchbesprechungen eisern abgearbeitet werden, liest sich das ungefähr so aufregend wie die Literaturbeilagen der Zeitungen vor den Buchmessen. (Also, ich finde die leider oft öde.)
Mut zum Eigensinn, mehr innere Schönheit wagen und Schwankungen zulassen: Es ist vielleicht Gelassenheit, die ich mir bei manchen Blogs wünsche. Und mehr Durchlässigkeit, was die Vernetzung außerhalb der Buchblogs und was die Themenwahl betrifft. Man liest oft, dass die sklavische Bindung an ein Thema auf Dauer nicht froh macht. Da möchte ich dann rufen: „Mensch, dann schreib‘ doch einfach mal über was anderes, das Dich interessiert und glücklich macht! Oder mach’ eine Pause.“ Das Leben bringt es doch oft mit sich, dass sich Interessen verändern oder verlagern. Warum sollte sich das im Blog nicht spiegeln dürfen? Das wird vielleicht Unruhe in die Leserschaft bringen. Aber, hey, Reichweite ist nicht alles.
Wibke Ladwig offline.
Was machst du, wenn du offline bist?
Schlafen und Essen! Tatsächlich aber mache ich ziemlich viele Dinge offline (und erzähle manches davon online). Ich reite, sause mit dem Rad oder Rennrad umher, gehe Zelten und Wandern (am liebsten in der Eifel) oder spaziere in der Gegend herum, besuche Kunst und (Sub-)Kultur, schreibe und kritzele, lese alles Mögliche und koche. Gemüse schnibbeln ist mein Yoga! Und dann alles aufessen. Und Schlafen!
Welchen Fehler würdest du nicht noch einmal machen wollen?
Bisher habe ich aus jedem Fehler noch etwas lernen können. Ich wünsche mir manchmal, ich hätte als Kind Zugang zu mehr Büchern gehabt. Leider habe ich die öffentlichen Bibliotheken erst als Erwachsene entdeckt. Den Leserückstand werde ich mein Leben lang nicht mehr aufholen können. Aber dafür habe ich als Kind irre viel Fernsehen geguckt. Auch nicht schlecht!
Und welchen Fehler bereust du nicht?
Ich glaube, manche Karriere- und Positionierungsberater schlügen die Hände überm Kopf zusammen, weil ich mich jeder Manifestierung einer Marke regelmäßig entziehe. Mich macht schlicht misstrauisch, wenn jemand da draußen sehr genau meint, zu wissen, was ich mache. Da bekomme ich dann gleich große Lust, alles in Frage zu stellen und wieder etwas zu verändern, im Dialog mit und in einem sich beständig ändernden Umfeld. Aus Sicht von außen ein Fehler, doch ich lebe ihn und das hält mich lebendig.
Was ist für dich Glück?
Hunderte Momente des Glücks blitzen gerade auf und sie sind verbunden mit sinnlichen Erfahrungen: Gerüche wie das reife Korn oder frisch gemähtes Heu, Geräusche wie das Zirpen der Mauersegler über der Stadt oder die Zikaden in Südfrankreich, das Gefühl von der Pferdenase in meinem Nacken oder vom kühlen Dackelohr in meiner Hand, nach einer langen Wanderung zufrieden vorm Zelt in der warmen Abendsonne sitzen und die Vögel zwitschern ihre Lieder, etwas Wichtiges und Anstrengendes geschafft zu haben, mit dem Mann sitzen, Bier in der Hand und in die Welt schauen. Alle Momente eint ein Gefühl von Frieden und Einklang. Alle Momente eint, dass sie kein Zustand von Dauer sind.
Was nimmst du dir für die Zukunft vor?
Immer noch eine Frage, bei der ich umgehend erstarre. Insofern beantworte ich sie ganz naheliegend: Ich werde mal wieder mein Buchregal ausmisten müssen.
Natürlich Bücher und Literatur
Welche Buchhandlung kannst du besonders empfehlen?
Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass ich den Buchladen Neusser Straße in Köln-Nippes heiß und innig liebe. Köln ist nicht arm an Buchhandlungen. Aber wenn man irgendwo reinkommt und gleich das Gefühl hat, ein wenig Zuhause sein zu dürfen und geschätzter Gast zu sein – wie soll ich es ausdrücken? Mich wird man dann nicht mehr so schnell los. Umso mehr freut es mich, dass wir immer mal wieder etwas zusammen machen, demnächst auch in Sachen Blog.
Was ist dein liebster Buchcharakter?
Oha. Das ist aber eine verzwickte Frage. Das wandelt sich mit der Zeit. Die Maus Frederick, Britta die Reitlehrerin und Bille & Zottel, Ronja Räubertochter, der Graf von Monte Christo, der Marquis von Posa (Don Carlos) und Aragorn: Das sind einige Weggefährten in den Sätzen und Buchstaben, denen ich mich besonders verwandt und nah fühlte. Aber den Einen oder die Eine gibt es nicht.
Welche Bücher empfiehlst du immer wieder und warum?
Ich empfehle nur selten und vorsichtig Bücher. Denn dafür braucht es ein Gegenüber. Andernfalls stülpe ich meine Vorlieben über jemanden drüber, wenn ich nichts oder nur wenig über ihn oder sie weiß. Aber wenn es ein paar Titel sein sollen, dann „Der Trick“ von Emanuel Bergmann, „Die Sprache der Vögel“ von Norbert Scheuer, „Chuzpe“ von Lily Brett, „Altes Land“ von Dörte Hansen oder Lyrik von Nora Gomringer, Jo Frank oder eines der ausnehmend schönen Bände aus dem Verlagshaus Berlin.
Hast du dich schon einmal für ein Buch geschämt?
Haha, ja, es gibt ein paar peinliche Bücher, deren Lektüre ich nicht öffentlich bekennen würde. Gerade im Nachhinein. Aber dass ich hin und wieder besonders verschwurbelte Nackenbeißer lese, finde ich eher lustig als peinlich.
Die letzte Frage: Welches Buch sollte ich unbedingt lesen?
„Die Nacht von Lissabon“ von Erich Maria Remarque. Eine Geschichte voller Wehmut und verlorener Hoffnungen, eine Geschichte, in der sich schmerzhaft mitteilt, was Flucht bedeutet. Aber es ist auch eine Geschichte von Liebe und Menschlichkeit. Es hat mich tief beeindruckt. Und ich könnte mir vorstellen, dass es Dir gefällt.
Vielen Dank für das tolle Interview!
Leben und Beruf von Linus
Wie kam es, dass du im Herbst nach Berlin gezogen bist?
Ich wollte schon immer gerne nach Berlin, weil hier viele Freunde und Freundinnen wohnen und ich die Stadt sehr mag. Als ich gesehen habe, dass die Buchbox jemanden sucht, habe ich mich direkt beworben und es hat geklappt.
Warum bist du eigentlich Buchhändler geworden?
Genau genommen bin ich ja gar kein Buchhändler. Ursprünglich habe ich mal Germanistik studiert, nach meinem Volontariat fiel es mir dann schwer, einen Einstieg in die Verlagswelt zu finden. Da ich gerne lese und Freude am Kundenkontakt habe, kam ich dann auf die Idee, als Buchhändler quereinzusteigen.
Wie passt das mit dem Buchhändler sein und dem Buchbloggen gerade für dich zusammen?
Oh, schwer! Ich arbeite jetzt seit Anfang November vierzig Stunden im Buchladen und muss schon feststellen, dass die Zeit fürs Bloggen und Lesen ganz schön knapp ist. Ich freue mich deshalb über jede freie Minute, die ich in meinen Blog stecken kann.
Was sollte ein Buchblogger deiner Meinung nach niemals tun?
Ach, so etwas finde ich immer ganz schwer zu beantworten: Aus meinen Erfahrungen kann ich sagen, dass es nie eine gute Idee ist, sich zu viele Rezensionsexemplare aufzuhalsen. Ich lief irgendwann Gefahr, den Spaß zu verlieren, weil ich mich nur noch gezwungen sah, die Bücherberge abzuarbeiten.
Oder was sollte er unbedingt tun?
Authentisch sein! Die eigene Begeisterung teilen, aber – wenn nötig – auch Kritik formulieren. Was mir persönlich ganz wichtig ist, ist auch der Kontakt zu meinen Lesern und Leserinnen – ich versuche mir, so häufig wie möglich die Zeit dafür zu nehmen, Kommentare und Mails zu beantworten.
Was war das schönste Erlebnis für dich als Buchblogger?
Da gab es so viele! Unsere gemeinsame Bloggerreise nach Zürich fällt mir als eines der ersten Dinge ein. Ich glaube, ich kann aber gar nicht wirklich sagen, dass es ein Erlebnis gab, das besonders heraussticht. Das Schönste an den vergangenen sieben Jahren als Blogger ist für mich, dass sich aus Kontakten zu anderen Lesebegeisterten schöne und enge Freundschaften entwickelt haben, die über die gemeinsame Leidenschaft für Bücher längst hinausgeht.
Warum machst du so gern Treppenfotos?
Dafür gibt es keinen wirklichen Grund – mir macht das Fotografieren von Architektur schon seit Jahren Freude und irgendwann hat sich die Begeisterung vor allem auf Treppenhäuser und Treppenaugen fokussiert. Mein erstes Treppenbild entstand eher aus Langeweile und ohne große Erwartungen. Als ich mir dann später das Foto angeschaut habe, war ich begeistert – und seitdem laufe ich mit offenen Augen durch die Stadt, immer auf der Suche nach neuen Treppen.
Was Transgender für Linus bedeutet
Im Herbst hast du ein Foto von einem Starbucks-Becher mit dem Namen Linus gepostet. Das war der Zeitpunkt, an dem ich bemerkt habe, dass du trans bist. Wie viel Überwindung hat es dich gekostet, so an die Öffentlichkeit zu gehen? Hattest du diesen Post geplant oder war das eher ein spontaner Impuls?
Genau. Es fing alles mit dem Starbucks-Becher an, ich habe ihn einen Tag vor der Buchmesse gepostet, weil ich gedacht habe, dass es keinen besseren Ort und keine bessere Zeit gibt, um den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Es hat mich wahnsinnig viel Überwindung gekostet, ich weiß noch, dass ich das Foto gepostet habe und danach einen halben Tag krank im Bett lag und mich nicht traute, in die Antworten zu schauen. Als ich am nächsten Tag auf die Messe ging, hatte ich meinen Facebookaccount noch immer nicht wieder geöffnet.
Welche Auswirkungen hat es auf deinen Alltag, dass du trans bist?
Die größte Auswirkung ist wohl, dass ich es immer wieder thematisieren muss – sei es im Buchladen, beim Arzt oder beim Frisur. Ich erlebe immer wieder Situationen, in denen ich misgendert werde und in denen ich – wenn ich die Kraft dazu habe – das richtigstelle. In einem Artikel habe ich mal gelesen, das Coming-Out für eine trans Person sei wie Duschen: Man muss es fast täglich tun.
Wie gehst du mit Menschen um, die dich angreifen, weil du trans bist?
Ich nehme es mir nicht zu Herzen – und wenn es strafrechtlich relevant ist, dann bringe ich es Anzeige. Für mich ist es eine ganz große Hilfe, online über das sprechen zu können, was ich erlebe und was mich bewegt. Deshalb ärgern mich die Menschen, die sagen, dass ich mich nicht ärgern soll, fast mehr, als die, die mich angreifen. Sichtbarkeit ist so wichtig – und wenn ich nur einem anderen Menschen durch meine Postings helfen kann, werde ich weiter posten.
Was gibt dir am meisten Kraft?
Freunde und Freundinnen, die mich unterstützen. Kraft gibt mir aber auch meine Arbeit, wo ich so akzeptiert werde, wie ich bin – ich habe dort einen Ort, an den ich täglich gehen kann, ohne Scham und ohne mich zu verstecken.
Was würdest du gern in der Gesellschaft verändern?
Wo soll ich da anfangen? Am meisten wünsche ich mir, dass das Denken in Geschlechterrollen endlich aufhört – für viele ist es gerade noch ganz schwierig zu verstehen, dass ich Brüste und eine hohe Stimme habe, aber Linus heiße und mit einem männlichen Pronomen angesprochen werden möchte.
Was nimmst du dir für die Zukunft vor?
Ich hoffe, ich habe auch in Zukunft, die Kraft dafür, über mich und meine Identität öffentlich zu sprechen. Das ist mein größter Wunsch – ansonsten schaue ich einfach von Tag zu Tag und versuche alles zu genießen, was mir passiert.
Hast du vielleicht einen Buchtipp für jemanden, der sich mit dem Thema Transgender beschäftigen will, aber bisher noch keine Berührungspunkte hat?
Ich plane gerade einen Blogbeitrag zu dem Thema und hoffe, dass ich ihn bald veröffentlichen werde. Was ich spontan empfehlen würde: Teddy Tilly von Jessica Walton – das ist ein wunderbares Bilderbuch zum Thema Anderssein und ein toller Einstieg in die Thematik.
Über die Literatur
Welche Bücher empfiehlst du immer wieder und warum?
Ich empfehle immer wieder gerne die Bücher von Karl Ove Knausgard, weil ich noch nichts anderes gelesen habe, dass mich so sehr dazu einlädt, über mich, meine Familie und mein eigenes Leben nachzudenken.
Was war das blödeste Buch, welches du bisher gelesen hast?
Ach, ich weiß nicht, ob es wirklich blöde Bücher gibt – ich habe aber auf jeden Fall schon Bücher gehabt, die ich als unbefriedigend empfand oder als unnötig. Zuletzt erging es mir wohl so mit „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara, welches ich in mehrerer Hinsicht misslungen fand.
Hast du dich schon einmal für ein Buch geschämt?
Nein! Ich finde es furchtbar, sich für Dinge zu schämen, an denen man Spaß hat!
Die letzte Frage: Welches Buch sollte ich unbedingt lesen?
„In einer Person“ von John Irving – es gibt kaum ein besseres Buch über das Suchen und Finden der eigenen Identität. John Irving erzählt darin von William Abbotts Weg zu sich selbst und zu seiner eigenen sexuellen Identität. Es dauert lange, bis William nicht mehr von sich selbst denkt, dass er “für die Falschen schwärmt”, sondern sich selbst als jungen bisexuellen Mann wahrnimmt. Dieser Weg, den er gehen muss, wird erschwert von einer Familie, in der alle Geheimnisse unter den Teppich gekehrt werden und Schweigen statt Offenheit und Ehrlichkeit vorherrscht.
Vielen Dank für das Interview!
Das Foto von Linus Giese hat Bob Sala geschossen.
Meine besuchten Sessions
Das Publisher-Paradoxon
Meine erste Session ging gleich daneben. Ich wollte wissen, warum alle schreiben wollen und keiner mehr lesen, wie es in der Beschreibung auch angekündigt war. Am Ende wusste ich nicht, was der Sinn der Session war, denn zum Publisher-Paradoxon hatte ich nichts erfahren. Wohl aber weiß ich jetzt, dass es eine Literaturzeitschrift „Richtungswechsel“ gibt und die Macher nicht genau wissen, wohin und was sie mit der Zeitschrift wollen.
Lebe deinen Blog!
Richtig toll dagegen fand ich den Vortrag von Anna (Buchbloggerin Ink of Books). Ihr ging es um Authentizität und Persönlichkeit beim Bloggen. Natürlich gab es für mich nicht viel Neues, aber es machte mir Spaß über meinen Blog und Annas Beispiele nachzudenken. Nach Anna lässt sich die Persönlichkeit am besten durch das Design der Webseite, Fotos und die Texte ausdrücken und mit diesen Stellschrauben kann man einiges machen!
Jetzt: „Lebe deinen Blog!“ von @Ink_of_Books beim #litcamp17. Es geht um Authentizität und Persönlichkeit beim Bloggen. pic.twitter.com/SAPApl2FZH