Sag den Wölfen, ich bin zu Hause von Carol Rifka Brunt oder diese schreckliche Trauer

Ich habe gelernt, dass die Trauer um einen verstorbenen und geliebten Menschen irgendwann nachlässt, aber so richtig hört das Gefühl des Vermissens niemals auf. Eine Stelle bleibt immer leer. Der letzte Tod in meinem Umkreis, der mich sehr getroffen hat, war 2014 als mein Opa starb und auch jetzt gibt es Momente, in denen ich mir wünsche, er wäre noch da. Momente, in denen ich mir wünsche, dass ich ihn einfach anrufen oder besuchen kann, um mit ihm zu sprechen. Aber so einfach ist das eben nicht. Tod und Trauer spielen auch in „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt eine zentrale Rolle.
Diese verflixte Trauer
Es ist 1987 in New York: Der berühmte Maler Finn Weiss stirbt an AIDS. Am meisten trifft dieser Tod seine Nichte June Albus, aus deren Sicht „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ erzählt wird. June ist gerade vierzehn Jahre und sie hatte eine sehr enge Verbindung zu ihrem Onkel Finn. Ständig hat sie ihn besucht und meistens sind sie gemeinsam Essen oder ins Kino gegangen. Zuletzt hat Finn sogar ein Porträt von June und ihrer Schwester Greta gemalt. Viele Sonntage haben sie ihn extra für dieses Porträt besucht und er hat sich Zeit gelassen mit dem Malen. Eigentlich hat er auch ein bisschen getrödelt, damit die Besuche nicht enden.
June ist eine typische Einzelgängerin: Sie hat nicht wirklich Freunde in ihrer Schule und sie möchte es auch nicht. Ihre Eltern sind Steuerberater, die zumindest in einer Hälfte des Jahres kaum daheim sind, weil „Steuer-Saison“ ist und deshalb bemerken diese Junes Eigenarten nicht so sehr. Greta, ihre Schwester, ignoriert June ständig oder macht sich sogar lustig über sie und ist ein wenig gemein – also niemand, mit dem man besonders gern Zeit verbringt. Nur bei Onkel Finn fühlt June sich wirklich verstanden und ernst genommen. Mit seinem Tod hat die Welt, wie June sie kannte, ihr Ende gefunden. Der Schmerz zerfrisst sie und verzweifelt versucht sie, die Erinnerung an Finn und damit auch ihn selbst lebendig zu halten.
Auf der Beerdigung von Onkel Finn sieht June einen jungen Mann in einem blauen Auto, der sich sehr im Hintergrund hält. Junes Eltern wollen diesen Mann nicht auf der Beerdigung sehen, denn sie halten ihn für Finns Mörder – für den Menschen, der Finn mit HIV angesteckt hat. Wenige Tage später klingelt ein Paketbote an Junes Haustür und bringt ein Päckchen vorbei, welches die wunderschöne Teekanne enthält, die Finn June schenken wollte. In der Teekanne befindet sich eine Nachricht von Toby, dem jungen Mann von der Beerdigung und June bemerkt, dass nicht nur sie schrecklich unter dem Verlust leidet.
Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
Ich mag den Titel „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“. Er hat etwas von Gefahr, aber auch von Unerschrockenheit und Mut. Immer wieder tauchen im Buch Anspielungen auf Wölfe auf – Wölfe heulen im Wald, ein Wolf ist im Negativraum des Porträts zu sehen und letztendlich benennt Finn sogar das Porträt mit „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“. Die Wölfe, das sind Junes Mitschüler, aber auch manchmal Junes Eltern und definitiv immer ist die Trauer ein Wolf. Wenn Carol Rifka Brunt eines gut kann, dann ist es die Darstellung der Trauer und des Schmerzes. Das macht sie sehr amerikanisch, was manchmal auch etwas von Kitsch hat.
Für Menschen ist es eben schwierig, den Tod zu beschreiben ohne manchmal auch Allgemeinplätze zu verwenden. Mich hat die Beschreibung von Junes Trauer sehr an meine eigene erinnert: Wie ich nach dem Tod meines Opas versucht habe, mich an seinen Dingen oder an den Erinnerungen an ihn festzuhalten, aber davon wurde er eben auch nicht wieder lebendig. Wird es nie mehr werden.
Und dann wäre da noch AIDS.
Aber Tod und Trauer ist nicht das einzige Thema in „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“. Finns HIV-Erkrankung und die Tatsache, dass Finn schwul war und mit Toby zusammengelebt hat, verleihen dem Buch nochmals eine andere Ebene. Ende der Achtziger Jahre war HIV noch ein viel größeres Thema als es heute ist. Die Menschen haben gedacht, sie können sich schon damit anstecken, wenn sie im selben Raum mit dieser Person sind oder von ihr berührt werden. Den Umgang in der damaligen Zeit stellt „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ sehr gut nachfühlbar dar, wenn beispielsweise Junes Mutter nicht über die AIDS-Erkrankung ihres Bruders reden kann.
Aber auch heute noch ist HIV ein Stigma, wie das Bekenntnis von Conchita Wurst auf Instagram zeigt. Conchita Wurst gab bekannt, dass er HIV infiziert ist und sein Ex-Freund damit gedroht hat, dies zu veröffentlichen, deshalb macht er es lieber selbst. Durch Medikamente können die Viren soweit reduziert werden, dass Betroffene nicht mehr ansteckend sind. Aber das Stigma bleibt in den Köpfen bestehen, weshalb die meisten HIV-Infizierten ihre Krankheit auch heute noch nicht öffentlich machen.
„Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt ist ein Buch zum Mitleiden. Es ist flüssig und leichtverständlich geschrieben, weshalb es sich sehr schnell liest. Manchmal stören mich daran jedoch die kitschigen Elemente, aber wer hat gesagt, dass es einfach ist, über den Tod zu schreiben?
Carol Rifka Brunt: Sag den Wölfen, ich bin zu Hause. Eisele Verlag. ISBN: 978-3961610075. 448 Seiten. 22,00 €.
Liebe Janine,
da sind dir wieder mal ein paar wunderbar einfühlsame Zeilen über ein großartiges Buch gelungen. Ja, Verlust ist nicht einfach. Ich finde, wenn man darüber schreibt, triftet man ganz automatisch in etwas Kitsch ab. Denn für die Trauer die richtigen Worte zu finden, ist nicht einfach.
Liebe Stöbergrüße
Steffi
Hallo Steffi,
danke für deine lieben Worte! Sag den Wölfen, ich bin zu Hause gab mir den Anstoß, mich näher mit Büchern zu beschäftigen, in denen Tod und Trauer eine Rolle spielen. Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedliche Autoren unterschiedlich darüber schreiben. Ich werde das sicher auch in einem Artikel festhalten, aber das wird noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. 🙂
Viele Grüße,
Janine
Na da bin ich ja gespannt. 😊
Hallo Janine,
ich habe deine schöne Rezi gerade auch bei mir verlinkt. 🙂
Mir hat das Buch auch richtig gut gefallen, bis auf die eine oder andere kleine Länge. Leider habe ich es nur als Ebook. Das Print sieht so wunderschön aus.
Viele Grüße, Sabrina
[…] Wenn Carol Rifka Brunt eines gut kann, dann ist es die Darstellung der Trauer und des Schmerzes. Frau Hemingway […]