QualityLand von Marc-Uwe Kling oder die Macht der Algorithmen

Nicht erst seit heute ist der Mensch im Internet gläsern. Soziale Netzwerke wie Facebook sammeln Daten über Personen und fügen sie zu komplexen Profilen zusammen – fast schon besser als die Profiler der CIA. Marc-Uwe Klingt treibt die Entwicklungen der Digitalisierung in seinem neuen Buch „QualityLand“ auf die Spitze.
In QualityLand lautet die Antwort auf alle Fragen: OK
Die Zukunft stimmt optimistisch: Alles ist gut. Alles ist optimiert. In sämtlichen Bereichen des Lebens – egal ob Arbeit, Freizeit oder Beziehungen – haben nun die Algorithmen das Sagen. Sämtliche Transaktionen können mittels Kuss auf das Display des QualityPads getätigt werden. Bargeld ist schon längst obsolet. Aber das ist nur der Anfang: Autos fahren selbst und betätigen sich dabei noch in Small Talk mit dem Fahrgast. Die mühevolle Suche nach Produkten hat auch ein Ende: Wer im Programm von „OneKiss“ teilnimmt, wird ganz automatisch von Drohnen mit Dingen beliefert, von denen er noch nicht einmal wusste, dass er sie möchte. Die Algorithmen von „OneKiss“ nehmen die Wünsche und Bedürfnisse von Kunden also vorweg und überraschen ihre Kunden mit neuen Produkten. In eine Bar oder Disco geht in Zeiten von „QualityLand“ schon längst niemand mehr, um einen neuen Partner kennenzulernen. „QualityPartner“ weiß es ohnehin viel besser, wer zu wem passt, und ermittelt ganz automatisch die große Liebe. Es gibt sogar Rabatt, wenn man seinen aktuellen Partner verlässt.
Peter Arbeitsloser
In dieser Welt lebt Peter Arbeitsloser. Die klassischen Nachnamen wurden durch ein zeitgemäßeres System ersetzt. Als Mädchen erhält man den Beruf der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt als Nachnamen, bei Jungen ist es der Beruf des Vaters. Der Stallgeruch eines jeden Menschen kann so problemlos am Nachnamen erkannt werden. Und wenn das noch nicht reicht, dann gibt es da noch das QualityLevel. Eine Score, den jeder Mensch zugeordnet bekommt anhand von Alter, Vermögen, Einfluss, Beruf, Aussehen und weiteren Faktoren. Anhand des QualityLevels wird natürlich auch wieder berechnet, welcher QualityPartner zu wem passt. So ist auch das letzte Milieu vom anderen hermetisch abgeriegelt.
Aber zurück zu Peter Arbeitsloser: Er ist die Titelfigur in Marc-Uwe Klings Roman „QualityLand“ und betreibt eine Schrottpresse, um defekte oder nicht mehr benötigte Maschinen und Roboter zu verschrotten. Keiner außer ihm weiß, dass er seine Kunden gar nicht einstampft, sondern rettet und in einem Raum im Keller seines Hauses versteckt hält. Um den Konsum zu schützen, ist jede Art von Reparatur verboten. So will es das Gesetz. Peter Arbeitsloser ist so ganz anders als der Rest der Menschheit in „QualityLand“. Alle anderen wirken vollkommen oberflächlich und zuweilen sogar verblödet. Aber wie könnte es auch anders sein, wenn die Algorithmen das Denken übernehmen?
John of Us
Bald wird die Präsidentin des Landes QualityLand sterben. Nur noch etwa 66 Tage hat sie zu leben. Das haben kluge Computer prognostiziert. Ein Nachfolger muss schnellstmöglich gefunden werden! Das allein ist schon ungewöhnlich, aber noch ungewöhnlicher ist, dass ein Roboter mit Namen John of Us als nächster Präsident kandidiert. Eine künstliche Intelligenz weiß besser als jeder menschliche Kandidat, was besser für das Volk des eigenen Landes ist. Der Gegenkandidat ist ein AfD-Verschnitt, der mit alternativen Fakten so um sich wirft und natürlich beliebter als John of Us bei den Wählern ist. Die Stimme der Vernunft möchte keiner hören, obwohl sie sich tatsächlich für die Benachteiligten in der Gesellschaft einsetzt. Dieser Wahlkampf ist höchstparadox und spiegelt darin das ganze Buch von Marc-Uwe Kling wieder.
Kein Land, in dem ich Leben möchte
Der Stoff, den Marc-Uwe Kling in „QualityLand“ beschreibt, ist überaus spannend und komplex. Beim Lesen fühlt man diese Komplexität aber nicht als Leser. Wie schon in der „Känguru-Trilogie“ schreibt Marc-Uwe Kling leichtfüßig, sehr humorvoll und ehrlich. Die Sprache ist leicht verständlich und eingängig. Das Känguru hat übrigens auch einen Auftritt in „QualityLand“. Böse Zungen könnten behaupten, dass „QualityLand“ einfach nur ein deutscher Abklatsch von Dave Eggers „The Circle“ ist, aber das finde ich ungerecht. In der Konsequenz würden alle weiteren Romane nach „The Circle“ über Digitalisierung und eine nahe Zukunft so genannt werden müssen. Dabei lässt sich „QualityLand“ wesentlich besser lesen als Dave Eggers Roman.
Die Geschichte ist so spannend, weil sie eine Zukunft beschreibt, die bald so eintreten könnte. Bei Marc-Uwe Kling wirkt das zunächst lustig, aber beim genaueren Nachdenken, ist es beängstigend. Der Konsumismus wird in „QualityLand“ auf die Spitze getrieben. Geld ist in dieser Welt definitiv der Zweck und nicht mehr nur ein Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse. Es ist gruselig, wie nah wir an dieser Dystopie mit unserer Realität sind. Nach dem Lesen von „QualityLand“ habe ich mich wirklich gut unterhalten gefühlt, aber ich wusste auch, dass ich in dieser Welt nicht gern leben möchte.
Der Unterschied zwischen der hellen und der dunklen Ausgabe von „QualityLand“
Beim Schreiben des Buches kam Marc-Uwe Kling schon früh die Idee, seinen Roman selbst zu Personalisieren. So wie die ganze Welt in „QualityLand“ von der Personalisierung und der Absurdität dieser geprägt ist. Die eigentliche Geschichte ist also in beiden Ausgaben gleich, aber zwischen den Kapiteln gibt es Nachrichten und Werbung zu sehen. Diese sind zwischen der hellen und der dunklen Ausgabe unterschiedlich. Am Ende einer jeden Ausgabe steht dann ein Link, der zu den Nachrichten der anderen Ausgabe führt. Man verpasst also nichts, wenn man nicht beide Ausgaben kauft.
Marc-Uwe Kling: QualityLand. Ullstein Verlag: ISBN: 978-3550050152. 384 Seiten. 18,00 €.
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Pinkfisch
Wie gut das das Buch (natürlich in schwarz, hihi) bereits bei mir liegt. Deine Rezi ist echt toll und man möchte direkt mit dem Lesen beginnen. Ich find die Idee von zwei Ausgaben wirklich genial und auch wenn ich bestimmt auch nicht in „Qualityland“ leben möchte, freue ich mich auf einen baldigen Besuch!
Viel Spaß beim Lesen! 🙂