Können wir bitte aufhören, langweilige Lesungen zu veranstalten und stattdessen die Leute für Literatur begeistern?

Vergangene Woche war ich seit langer Zeit mal wieder auf einer Lesung. Meine Vorfreude war groß, auch wenn das Thema eher einen traurigen Inhalt versprach: Es war ein Literarischer Abend zum Tod mit dem Titel „Sein, oder nicht sein“. Im Ankündigungstext wurde etwas von Texten von der späten Antike bis zur Gegenwart geschrieben, aber tatsächlich gab es dann keine Texte aus der Gegenwart und stattdessen gab es ganz viel klassische Literatur: Michel de Montaigne, Emily Dickinson, Franz Kafka, Joseph von Eichendorff, natürlich Johann Wolfgang von Goethe und andere. Als hätten wir in Deutschland keine anderen Autoren als Goethe und schon gar nicht haben wir jüngere Schriftsteller als ihn.
Neben der Literaturauswahl hat mich aber noch die Gestaltung der Lesung an sich geschafft. Die beiden Professorinnen haben ihre Lesung im Vorfeld Wort für Wort verfasst und dann an dem Abend vorgelesen. Wie bei so einer richtigen Germanistik-Vorlesung! Anscheinend haben sie nicht einmal erwartet, dass bei solch einer interessanten Veranstaltungsankündigung sich noch andere als ihre ohnehin bekannten Studenten unter die Zuhörer verirren würden. Ich möchte der Lesung aber zu Gute halten, dass auch Musikstücke zum Thema vorgespielt wurden und so nicht das komplette Hörsaal-Feeling bei mir aufkam.
Und die „normalen“ Leser?
Ich habe den ganzen Abend über der Frage gebrütet, warum man so eine Veranstaltung für die breite Öffentlichkeit ankündigt, obwohl sie sich doch eher an Literaturwissenschaftler richtet. Nehmen wir an, es verirrt sich jemand, der sonst nur sporadisch Bücher von der Spiegel-Bestseller-Liste liest, in diese Lesung, der wird seinen Glauben an interessante Bücher verlieren und Bücher erstmal nicht anrühren. Diese Lesung von vergangener Woche ist für mich ein Beispiel unter vielen. Die Professorinnen hätten sich niemals die Blöße gegeben und aktuelle Bestseller oder sogar Unterhaltungsliteratur in ihren „Kanon der Todesliteratur“ aufzunehmen, denn dann würde sie schließlich niemand mehr in Deutschland ernstnehmen.
Wohlgemerkt in Deutschland, denn nur hier ist die Unterscheidung zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur so strikt. Und durch dieses „Niveau-Diktat“ werden Leser vergrault. Etwa einmal im Halbjahr geht eine neue Studie über den Untergang der Bücher durch die Presse, aber die Presse merkt nicht, dass sie auch dran schuld ist, weil wenn jemand die Trennung zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur perfektioniert, dann ist es wohl das Feuilleton. Aber muss das wirklich so sein? Können wir nicht aufhören, diese strikte Trennung in unseren Köpfen aufrecht zu erhalten? Und können wir endlich aufhören mit langweiligen Lesungen, die Leser vergraulen?
Stattdessen könnten wir uns Gedanken machen, wie wir Menschen wieder für Bücher begeistern! Und wenn es nur ist, dass nach Joseph von Eichendorffs „Mondnacht“ auch mal ein Auszug aus „Harry Potter“ von J.K. Rowling oder Wolfgang Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ vorgetragen werden darf, denn auch diese Autoren haben über den Tod geschrieben.
Autorenlesungen bekannter Autoren laufen ja durchaus wieder relativ gut (auch, weil die a) vorlesen und b) sich kurz zu fassen gelernt haben. Und wenn sich unbekanntere Autoren daran halten, kanns auf Dauer sogar bei denen klappen. Ansonsten: Mehr Zeit für Wein & Debatten. Was dagegen das Vorlesen aus fremden Texten betrifft bin ich recht skeptisch, egal ob Goethe oder Rowling…
Bei „Wein & Debatten“ bin ich ganz bei dir! 🙂
Im Großen und Ganzen gebe ich dir recht. Obwohl ich finde, dass solche Lesungen zu den Ausnahmen gehören. Man muss vielleicht differenzieren, zwischen (Vor-)Lesung und (Autoren-)Lesung. Von Professoren veranstaltete Lesungen richten sich ja doch meist (leider) eher an ein Fachpublikum. Aber ich muss nun mal eine Lanze für Germanistik Dozenten brechen: ich habe da Gott sei Dank die Erfahrung gemacht, dass in Vorlesungen frei vorgetragen und diskutiert wird. Dazu kommt, dass ich auch einige Dozentinnen kenne, die zb. außeruniversitäre Veranstaltungen betreuen, die auch für den „normalen“ Leser sehr interessant sind und die nicht beim Thema Goethe enden. Wir brauchen nur… Weiterlesen »
Mich hat der „Germanisten-Vorlesungs-Style“ so genervt, weil die Veranstaltung so beworben wurde als wäre sie für ein breites Publikum interessiert. Ich hatte auch einen Freund mit, dem es auch nicht zugesagt hat. Da habe ich mich schon geärgert.
Da gebe ich Dir völlig recht, Janine, lesen kann schließlich jeder selber, da muss schon etwas mehr kommen. LG Olaf
Danke dir! 🙂
Wenn sich Professorinnen mit diesem Thema beschäftigen, ist die Auswahl ja nicht zwingend vorgegeben. Neuere & neueste deutsche Literatur gibt es ja auch. Und das kann dann auch Stuckrad-Barre sein oder wer auch immer. Ich denke, dass es mal wieder um das Publikum ging: für wen konzipiert man die Veranstaltung? Und was ist der eigene Forschungsschwerpunkt? Entsprechend wird dann eine Veranstaltung gebastelt. Nicht überraschend. Auf den letzten Lesungen auf denen ich war, sah es übrigens, was das Publikum angeht ganz weißhaarig aus… nun ja… ob das allein am Format liegt? Ich weiß es nicht.
Beim Fall dieser Lesung waren es sogar 2 Professorinnen, die eine für Germanistik, die andere für Anglistik. Dass ich den Altersdurchschnitt bei Lesungen in Chemnitz immer senke, ist mir auch schon aufgefallen. Einzig bei Michael Nast und Sarah Kuttner bestand die Mehrheit des Publikums aus „unter 50 Jährigen“.