Jemand schrieb mir, dass er durch die regelmäßigen Besuche auf meinem Blog seine Freude am Lesen und an den Büchern wiedergefunden hätte: Fragen an Uwe Kalkowski

Leben, Blog & Bücher
Wie bist du derjenige geworden, der du bist?
Was für eine knifflige Frage zum Einstieg. Bei der Beantwortung hilft mir ein Zitat aus einem meiner Lieblingsbücher, nämlich die letzten beiden Sätze aus Sven Regeners „Herr Lehmann“. Dort heißt es: „Ich gehe erst einmal los, dachte er. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“ Das ist für mich die perfekte Lebensphilosophie, denn vom Planen halte ich nicht viel. Die typische Vorstellungsgesprächsfrage „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ halte ich für vollkommen absurd, denn woher soll ich wissen, was in fünf Jahren sein wird?! Vieles in meinen Leben hat sich irgendwie ergeben, weil ich es nicht geplant, aber auch, weil ich es dann einfach gemacht habe. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass es dabei auch Zeiten gab, in denen ich das Gefühl hatte, mit dem Rücken an der Wand zu stehen und nicht weiter zu wissen. Aber irgendwie hat sich dann immer etwas Neues ergeben.
Was zeichnet dein Leben aus?
Es ist schwierig, sich selbst zu charakterisieren. Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus Neugier auf Unbekanntes und dem Bewahren von Bewährtem. Passt ja auch irgendwie zu meinem Blog: Mit den Mitteln der digitalen Kommunikation gedruckte Bücher präsentieren.
Was wolltest du eigentlich als Kind werden?
Als Kind wahrscheinlich das Übliche, Feuerwehrmann, Lokführer, Privatdetektiv mit der Yps-Ausrüstung oder so etwas in der Art. Mit 16 wurde es dann konkreter, ich hatte den Plan, die Schule abzubrechen, eine Kochlehre zu machen und dann nach Australien auszuwandern. Koch ist eine der Tätigkeiten, die dort als Einwanderungsberuf anerkannt waren – was ich aus den Unterlagen wusste, die ich mir von der australischen Botschaft in Bonn angefordert hatte. Das war 1985 und meine Eltern waren not amused. Naja, es ist dann irgendwie alles anders gekommen. Aber ein paar Jahre später war ich dann tatsächlich eine Weile in Australien unterwegs.
Wie kamst du zum Buchbloggen?
Das wurde ich schon oft gefragt und eine ganz konkrete Antwort darauf gibt es eigentlich nicht. Die Domain „Kaffeehaussitzer“ hatte ich schon vor etlichen Jahren registriert, weil mir das Wort so gut gefiel und ich dachte, dass man damit irgendwann mal was machen könnte. 2013 habe ich mich aus Neugier mit WordPress beschäftigt und dann kam eines zum anderen; der Name war ja schon da, über Bücher reden schon seit meiner Buchhändlerzeit eine meiner liebsten Beschäftigungen, ebenso das Lesen in Cafés und das Photographieren – plötzlich hat das dann alles gepasst. Ein schönes Beispiel, dass es eben nicht immer einen Plan braucht, um etwas Neues anzugehen, sondern dass einzelne Aspekte des Lebens sich neu zusammenfügen können. Wenn man sie lässt.
Was war das schönste Erlebnis für dich als Buchblogger?
Es gab einige spektakuläre Highlights in meinen bisherigen Blogger-Dasein, etwa die Tätigkeit im Festivalbloggerteam bei Zürich liest, ein wunderbares Suhrkamp-Wochenende in Berlin, die Einladung zur Pressereise nach Norwegen und natürlich die Berufung in die Jury für den Deutschen Buchpreis 2018. Das waren alles unvergessliche Erlebnisse, die ich nicht missen möchte. Aber es war eine kurze E-Mail, die für mich die schönste Bestätigung überhaupt war: Jemand schrieb mir, dass er durch die regelmäßigen Besuche auf meinem Blog seine Freude am Lesen und an den Büchern wiedergefunden hätte. Da dachte ich, wow, alles richtig gemacht.
Was sollte ein Buchblogger deiner Meinung nach niemals tun?
Niemals würde ich in meinen Blog Affiliate-Links zu Amazon einbauen. Diese Firma ist in meinen Augen das Sinnbild für Raubtier-Kapitalismus in Reinform und steht beispielhaft für vieles, was wirtschaftlich und gesellschaftlich bei uns gerade schiefläuft – vom Versand-Wahnsinn mit seinen ökologischen Folgen bis hin zur Destabilisierung der Gesellschaft durch das Wegbrechen des Mittelstands und der Infrastruktur vor Ort. Als Buchblogger liebe ich es, in den Buchhandlungen meines Vertrauens immer wieder Unerwartetes zu finden. Mit der Verwendung von Amazon-Links hätte ich das Gefühl, meine Seele zu verkaufen. Überhaupt ist das ein Thema, das mir sehr wichtig ist: Jede Buchvorstellung endet mit dem Hashtag #SupportYourLocalBookstore und der Beitrag „Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht“ ist einer der meistgelesenen Texte auf Kaffeehaussitzer.
Für deine Kolumne „Fundstücke aus den Literaturblogs“ hast du jeden Monat die Buchbloggosphäre im Blick. Haben sich die Buchblogger über die Zeit verändert?
Diese monatliche Kolumne auf BuchMarkt.de gibt es nun seit August 2016. Von Beginn an standen darin nicht die Buchbesprechungen auf den unterschiedlichen Blogs im Vordergrund, sondern die Texte, die sich mit übergreifenden Themen beschäftigen – egal, ob sie sich auf die Buchbranche oder auf gesellschaftliche Veränderungen beziehen. Viele Blogs sind kritischer geworden, viele Beiträge politisch engagierter. Das ist vor dem Hintergrund der weltweit rückwärtsgewandten Entwicklungen sehr zu begrüßen, denn es kommt auf jede Stimme in der Öffentlichkeit an.
Welche Bücher empfiehlst du gerade besonders oft? Warum?
In den letzten Monaten sind mir vier Bücher besonders wichtig gewesen. In „Der Platz an der Sonne“ erschafft Christian Torkler eine gespiegelte Welt, in der Mitteleuropa aus korrupten, halbzerstörten Dritte-Welt-Staaten besteht und sich die Menschen auf die gefährliche Reise zu den wohlhabenden afrikanischen Staaten machen. Und viele die Suche nach einer besseren Zukunft nicht überleben. Das klingt plakativ, ist aber mit einer solchen Detailtreue umgesetzt, dass einem klar wird, dass niemand einfach so seine Familie und sein Land verlässt. Und plötzlich sind die Menschen in den Booten keine Fremden mehr, sondern wir selbst.
Hannes Köhler beschäftigt sich in seinem Roman „Ein mögliches Leben“ mit einem dieser Momente, in dem für das Leben ein ganz anderer Verlauf möglich gewesen wäre, wenn man auf sein Herz gehört hätte und nicht auf seinen Verstand. Das alles eingebettet in einen historischen Kontext, der uns Lesern einen wenig erforschten Ausschnitt der Geschichte des 20. Jahrhunderts näherbringt.
„Töchter“ von Lucy Fricke ist ebenfalls ein Buch, das mich sehr begeistert hat. Ein wahnwitziges Roadmovie mit viel schrägem Humor, sarkastischer Selbstironie und ein wunderbarer Roman über das Älterwerden und das Verhältnis zur eigenen Familie.
„Was dann nachher so schön fliegt“ schildert den Aufbruch eines jungen Menschen in das Leben, hin- und hergerissen zwischen seinem Zivildienst und dem Wunsch, als Schriftsteller in der Literaturwelt durchzustarten. Das Buch hat mich zurückkatapultiert in die Zeit als Zwanzigjähriger, eine Zeit, die mich geprägt hat, wie kaum eine andere. Diese Ungewissheit, die Ahnungslosigkeit von der Welt, die Rastlosigkeit eines jungen Erwachsenen, der nicht weiß wohin mit sich – diese Gefühlswelt hat Hilmar Klute in seinem Roman grandios eingefangen.
Was hast du gedacht, als du den ersten Buchblog-Award gewonnen hast?
Ehrlich gesagt, war zum Denken gar nicht viel Zeit – es war der vollkommene Adrenalinkick. Die Zugriffszahlen des Blogs explodierten, auf Twitter, Facebook und Instagram war die Hölle los. Ich bin nach wie vor unglaublich dankbar für diesen Preis, der dem Blog so einige Türen geöffnet hat. Und der nun schon im zweiten Jahr dazu beiträgt, dass die Buchblog-Szene wieder ein Stück fester im Literaturbetrieb verankert wurde.
Deutscher Buchpreis
Wie anstrengend war es wirklich, Mitglied der Jury des Deutschen Buchpreises 2018 zu sein?
Was ist die Definition von „anstrengend“? Auf der einen Seite war über mehrere Monate wirklich jede freie Minute – und das meine ich so ganz buchstäblich, ich habe manchmal sogar im Gehen gelesen – mit Lesen ausgefüllt. Auf der anderen Seite war das der vollkommene Literaturrausch und eine großartige Erfahrung.
Was waren deine Erwartungen an die Arbeit als Juror vor Beginn der Tätigkeit? Haben sie sich bewahrheitet?
Vor allem war ich sehr gespannt darauf, im unmittelbaren Austausch innerhalb der Jury andere Sichtweisen auf Literatur kennenzulernen. Und es war in der Tat eine spannende Sache, mit zum Teil sehr verschiedenen Meinungen über Bücher zu diskutieren.
Welche Erlebnisse in Zusammenhang mit der Jury-Tätigkeit werden dir besonders in Erinnerung bleiben?
Natürlich waren die Jurysitzungen zur Nominierung der Longlist, der Shortlist und des Siegertitels Erlebnisse, die man nicht vergisst. Sieben unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen literarischen Vorlieben müssen zu einer Einigung kommen – das war sehr aufregend. Doch besonders der letzte Abend war für mich einer der bewegendsten Momente. Als der Buchpreis verliehen war und sich der Trubel gelegt hatte, saßen alle Jurymitglieder spätabends in der Hotelbar bei einem letzten Drink zusammen. Einem allerletzten. Und noch einem allerallerletzen. Keiner wollte gehen. Es war eine Mischung aus Abschied und Freude darüber, eine anspruchsvolle Aufgabe erfolgreich zu Ende gebracht zu haben.
Würdest du nächstes Jahr wieder Teil der Jury sein, wenn man dich fragen würde?
Ich könnte mir das sehr gut vorstellen, noch einmal als Juror tätig zu werden. Allerdings wäre zwei Mal hintereinander schon eine ziemliche Herausforderung. Bei aller Begeisterung wird durch Sätze wie „Ich kann heute nicht, ich muss lesen“ das Privatleben dann doch ziemlich eingeschränkt. Aber mit ein, zwei Jahren Pause dazwischen: Immer gerne.
Was würdest du dir für den Deutschen Buchpreis wünschen?
Der Deutsche Buchpreis hat einen hohen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit. Daraus könnte meines Erachtens noch viel, viel mehr gemacht werden. Anstatt das Geld für müde „Jetzt ein Buch“-Imagekampagnen auszugeben, die wahrscheinlich niemanden dazu bringen, eine Buchhandlung aufzusuchen, würde ich diese Mittel in das Marketing rund um dem Buchpreis stecken. Leseexemplar-Pakete für interessierte Deutsch-Leistungskurse an Gymnasien, regelrechte Tourneen der nominierten Autoren, Diskussionsveranstaltungen an Universitäten oder Buchhandlungen, Initiieren von Buchpreis-Leseclubs – es gäbe so viele Ideen. Und das alles wäre Leseförderung par excellence.
Womit verbringst du eigentlich deine Freizeit, wenn du nicht mehr für den Buchpreis lesen musst?
Freeclimbing, Fallschirmspringen und Apnoetauchen. Kleiner Scherz, natürlich mit Lesen. Nach dem Buchpreis hatte ich auch endlich wieder Zeit für Bücher von Autoren außerhalb der deutschsprachigen Literatur.
Die letzte Frage: Welches Buch sollte ich unbedingt lesen?
Die Frage ist tatsächlich im Singular gestellt? Oh je, dann musst du dir eines aussuchen: Entweder „Alle Menschen sind sterblich“ von Simone de Beauvoir oder „Die Straße“ von Cormac McCarthy oder „An den Rändern der Welt“ von Olivier Adam oder „Der Grund“ von Anne von Canal oder natürlich „Herr Lehmann“ von Sven Regener“. Oder … okay, ich höre ja schon auf …
Photocredit: Das Titelfoto stammt von (c) Vera Prinz.
Hallo,
ein sehr interessantes Interview!
Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Email zu den persönlichen Highlights gehörte – ich würde mich auch sehr freuen, meine Leser zum Lesen animieren zu können.
Ich muss gestehen, dass ich ein paar Jahre lang Amazon-Affiliate-Links eingebaut habe… Inzwischen verlinke ich stattdessen zu Geniallokal, weil ich Amazon nicht mehr unterstützen will.
Jurymitglied beim Deutschen Buchpreis, das wäre ein Traum! Buchpreis-Leseclubs, das ist eine fantastische Idee, da würde ich gerne mitmachen.
LG,
Mikka
Bei einem Buchpreis-Leseclub wäre ich auch sofort dabei! 🙂