Gedanken über Selbstoptimierungswahn und Scheitern

Manchmal überlege ich, wann der Selbstoptimierungswahn in meinem Leben eigentlich begann. Das ist gar nicht so einfach nachzuverfolgen, aber ich bin mir sicher, dass er spätestens während meines Abitur vollends mein Leben durchdrungen hatte.
Die Optimierung des Lebens in jungen Jahren
Subtil machten uns die Lehrer klar, dass man nur eine gute Zukunft haben würde, wenn man auch ein gutes Abitur hatte. Die Mitschüler mit schlechten Noten waren in der Regel Dumpfbacken und zu denen wollte man nicht gehören. Also hieß es, sich im Kampf um gute Noten bemühen und mit seinen Vorträgen oder Aufsätzen origineller als die anderen zu sein. Diese Dynamik war nicht offenkundig – sie existierte, aber niemand redete offen darüber. Während meiner Abiturzeit hatte ich einige Phasen der Verzweiflung, spätestens wenn es konkret darum ging, was ich nach dem Abitur machen sollte. Es musste definitiv das Beste herausgeholt werden. Ich würde mich mit keinem Studium unter meinem Niveau und mit schlechten Karrierechancen zufriedengeben.
Am Ende hatte ich ein richtig tolles Abitur (Jahrgangszweitbeste) und ich hatte einen der begehrten Plätze für ein duales Studium bei einem bekannten deutschen Buchhändler erhalten. In diesem Sommer war ich unfassbar glücklich und permanent aufgeregt auf meine glänzende Zukunft im Buchhandel. Damals habe ich davon geträumt, dass ich mit 25 Jahren eine ausgefuchste Managerin in teurem Blazer sein würde. Jetzt mit 27 Jahren gehe ich manchmal noch in Comic-Tshirts in die Uni. Aber ich strenge mich noch genauso sehr wie damals für gute Noten an. Gruppenarbeiten machen mich wahnsinnig, weil ich dann keine Kontrolle mehr über meine Noten habe. Nicht meine Leistung wird bewertet, sondern die der Gruppe und logischerweise ist diese nur so gut wie ihr schwächstes Glied. Ich steigere mich in meine Ziele hinein und wende dabei mehr Zeit auf als ich eigentlich müsste. Allerdings merke ich auch allmählich, dass diese Verbissenheit im Vergleich zu Beginn des Studiums abnimmt. Mittlerweile versuche ich nicht mehr pausenlos mich und meine Leistung, sondern meine Fähigkeit zur Gelassenheit zu optimieren.
Früher oder später scheitert jeder
Vor wenigen Tagen habe ich das Büchlein „Was wichtig ist“ von J. K. Rowling gelesen. Es ist eigentlich kein richtiges Buch, sondern eine Rede, die J. K. Rowling 2008 vor den Absolventen der Harvard University gehalten hat. Diese Rede ist sehr persönlich und J. K. Rowling schildert ihre Erfahrungen im Leben. Sie war auch einmal eine euphorische Uni-Absolventin, aber nur wenige Jahre danach war ihr Leben gescheitert, wie es schlimmer nicht hätte kommen können. Ihre Ehe war gescheitert, sie war arbeitslos und alleinerziehend. Sie war arm und wusste manchmal nicht, von welchem Geld sie die geringsten Ausgaben zahlen sollte. Das alles war vor Harry Potter. Katastrophen im Leben sind willkürlich und sie können einen treffen, egal wie gut die Abschlussnote war.
Die Rede von J. K. Rowling hat mir gezeigt, dass Scheitern objektiv gesehen nichts Schlimmes ist. Gemessen an meinen Zielen, die ich im Alter von 18 Jahren hatte, bin ich bereits gescheitert: Ich studiere immer noch. Andererseits waren diese zusätzlichen Studienjahre so viel besser als die Zeit während meines dualen Studiums. Ich habe mich auch außerhalb des Studiums ausprobiert: Für einige Zeit war ich in einem Marketingverein. Das war nichts. Danach habe ich mich an der Arbeit des Referats für Ökologie und Nachhaltigkeit an der Uni beteiligt. Das war super und ein paar der Studenten dort sind richtige Freunde geworden. Ich habe diesen Blog hier geschrieben und er existiert noch immer. Außerdem habe ich gleich im 1. Semester von meinem Bachelor an der Uni als Werkstudentin angefangen. Jetzt nach 4 Jahren arbeite ich noch immer da, weil ich sowohl Kollegen als auch die Tätigkeit an sich sehr mag. Scheitern ist manchmal auch etwas sehr Nützliches.
Nicht immer heißt scheitern auch wirklich scheitern. Es ist eine Frage der Perspektive, genauso wie die Sache mit der Selbstoptimierung. Am Ende zwingen wir uns nur selbst, immer klüger, schlanker, muskulöser und leistungsfähiger zu werden, aber wichtig ist das nicht.
„Es gibt drei Wörter, die alles zusammenfassen, was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter.“ – Robert Frost
Hallöchen 🙂
ein wirklich schöner Beitrag. Ich habe das Buch vor 2 Jahren auf Englisch gelesen und habe es mir im Bahnhof vor meiner letzten Zugfahrt noch einmal auf Deutsch gekauft.
Ich wünchte mir beim Lesen, dass ich all das schon vor meinem Studium gewusst hätte. Oder zumindest ein paar der Gedanken, die ich heute dazu habe.
Ich finde es witzig, dass du vom Scheitern sprichst und nicht immer alles perfekt sein muss und dabei dein 2. Bild mit dem Zitat unscharf wurde. Ist das Absicht? 😀
Liebe Grüße
Jule
Es soll ja nicht alles immer so perfekt sein. 😉