Eine innige Liebe! – auf Zeit. Oder: Warum ich mich von Donna trennte

Zuerst möchte ich mich herzlich bei Janine bedanken, die mir netterweise dieses lauschige Plätzchen in Ihrem Blog zur Verfügung stellt.
Zur Sache: Ich habe und ich hatte immer Lieblingsauto*innen. Und das Wörtchen „hatte“ macht es schon deutlich: Lieblingsautor*innen kommen und gehen. Zumindest bei mir. Vielleicht habe ich ein etwas distanzierteres Verhältnis zu meinen Lieblingsautor*innen? Vielleicht fehlt mir das Gen zu absoluter Liebe und Verehrung? Ja, das kann sein. Und nein, ich empfinde das nicht als Nachteil.
Wenn ich mich an einer Autorin oder einem Autor festlese, ein erstes, ein zweites Buch wohlig seufzend oder auch aufgewühlt beiseitelege, dann ist oft der Appetit da, mehr von ihr oder ihm zu lesen. Dieser Drang entspricht übrigens dem natürlichen Überlebensprogramm der meisten Lebewesen. Eine Nahrungsquelle, die ungiftig und sättigend ist, suchen wir aus einem ganz natürlichen Instinkt wieder auf. Steinzeitmenschen, die es anders machten, lebten nicht lange. „Okay, die gelben Beeren gestern waren lecker, da probiere ich doch heute mal die roten aus.“ Das ist eine blöde Idee. Statistisch gesehen. Denn aufgrund der Endlichkeit der vorhandenen Optionen steigt mit jedem ungiftigen Versuch die Wahrscheinlichkeit, eine giftige Variante zu treffen. Funktioniert bei Büchern genauso. Schmeckt mir eine Art zu schreiben, ist die Wahrscheinlichkeit, mir bei einem weiteren Buch der/desselben Autors den Magen zu verderben, gering.
Aber Achtung! Dieser an sich segensreiche Überlebensmechanismus ist auf Dauer gefährlich. Manche Autor*innen arbeiten wie Mutter Natur, welche – Mutationen mal ausgenommen – Beeren in stoischer Einfallslosigkeit über hunderte oder sogar tausende Jahre gleich wachsen lässt. Never change a winning setting, könnte man das nennen. Leider tritt dann der gleiche Effekt ein, wie bei einer Dauerernährung mit gelben Beeren. Wir beginnen uns zu langweilen, werden zickig, mäkeln herum und kritisieren genau das Setting, welches wir in den ersten Romane doch so heiß geliebt haben. Kluge Autoren erkennen diesen Mechanismus und erfinden sich bei jedem Buch oder zumindest in Phasen immer wieder neu. Es ist ein weiteres Zeichen der Klugheit von Joanne K. Rowling, nicht umsonst die Harry Potter-Reihe beschränkt zu haben. Obwohl es sicher ein leichtes gewesen wäre, auch neun oder zehn oder zwölf Potter-Bände herauszubringen. Aber Settings nutzen sich eben ab. Bei aller Begeisterung treuer Leser*innen.
Die Kunst liegt meiner Meinung nach in einer schonenden Evolution. Personen, besonders Hauptpersonen, sollten eine Entwicklung durchmachen. Verhältnisse sollten sich ändern. Gerade von meinen Lieblingsautor*innen möchte ich überrascht werden, möchte ihre Entwicklung mit verfolgen. Denn, die Entwicklung des Settings und der Hauptpersonen ist auch ein gutes Stück weit die Entwicklung der Autorin bzw. des Autors. Und wer möchte schon mit jemand befreundet sein, der sich nicht entwickelt, dauerhaft auf den eigenen Positionen beharrt? Ich habe lange überlegt, ob ich hier einzelne Kolleg*innen ansprechen soll. Aber auch, wenn es vielleicht der eine oder andere als Majestätsbeleidigung begreift, ich möchte hier eine meiner ehemaligen Lieblingsautor*innen zum Beispiel nehmen: Donna Leon. In einem Buchprotal fand ich folgenden Text: „Auf Donna Leon können sich die Leser verlassen: Jedes Jahr beschert sie ihnen einen neuen Brunetti-Krimi. Der Commissario ermittelt in sämtlichen Gassen und allen Bevölkerungsschichten Venedigs. Er kämpft gegen den Filz in den Behörden, korrupte Beamte und Verbrecher. Die Autorin lässt ihn bei seiner Familie und gutem Essen immer wieder Kraft tanken.“
Falls ich nichts übersehen habe, kam im Mai diesen Jahres der sechsundzwanzigste Roman der Brunetti-Krimis auf den deutschen Markt. Sechsundzwanzig mal Kampf in den engen Gassen Venedigs. Aber auch sechsundzwanzig mal dieselben Figuren mit denselben Angewohnheiten und denselben Feindbildern. Ich gestehe, ich habe irgendwo bei Band 12 oder 13 die Lust verloren, Paola Brunettis immer währende Tiraden gegen die katholische Kirche mitzulesen, Brunettis immerfort dümmlichen Chef bei immerfort gleichen Dummheiten zuzusehen. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich habe so gut wie keine Sympathien für eine erzkonservative katholische Kirche und sicher noch weniger Verständnis für aufgeblasene Chefs, aber es gibt eben doch auch die andere Seite. Mutige und moderne Kirchmänner und -frauen hätte ich gern einmal bei Donna Leon gesehen und auch ein nachdenklicher, selbstkritischer Vice Questore Patta wäre eine interessante Variation gewesen.
Manchmal, so hat Paulo Coelho einmal gesagt, muss man Türen schließen. Nicht aus Hochmut, Arroganz oder Unfähigkeit, sondern allein aus der Erkenntnis, dass sie nirgendwo mehr hin führen. Ich, für meinen Teil, habe meine Tür zu Donna Leon geschlossen. Mit der Traurigkeit, mit der man sich von guten Freunden trennt. Ich wollte nicht mit ansehen, wie Brunettis Miene wie durch Facelifting immer starrer und maskenhafter wird. Vielleicht auch, weil ich von meinen Lieblingsautor*innen mehr verlange, anspruchsvoller bin. Vertrautheit und Vertrauen setzt eine Erwartung hoch, nicht enttäuscht zu werden. Und so ist es ein zweischneidiges Vergnügen, eine/n Lieblingsautor*in zu pflegen: Wohlige Vertrautheit, die jedoch wie in einer langen Partnerschaft auch schleichend zu wortloser Langeweile mutieren kann.
Über den Autor:
„Macht irgendwas mit Personal“ steht auf seinem Twitter-Account. Hat sich den größten Teil seines Berufslebens mit Personalmanagement beschäftigt – als Personalleiter, als Dozent und als Autor. Seit einigen Jahren als Dozent und Berater selbständig; lebt mit Frau und derzeit drei Katzen in Westfalen; liest vielfältig, konzentriert sich beim Schreiben aber auf den klassischen Kriminalroman britischer Prägung. Weniger Blutlachen und Verfolgungsjagden und mehr Hintergrund und Suspense.
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