Die Toten auf dem Rücksitz: Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt von Jesmyn Ward

Musik. Das ist meine Sache nicht oder eben nur sehr selten. Wie jetzt, du magst keine Musik, wirst du womöglich fragen. Nein, das ist so auch nicht wahr. Musik ist für mich nur nicht wichtig und ich höre sie deshalb nur manchmal. Ich bin eben eher der Buchmensch: Besser Lesen als Hören. Umso überraschender war es für mich, dass ich während ich „Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ von Jesmyn Ward las, ständig an Thees Uhlmanns Lied „Die Toten auf dem Rücksitz“ denken musste.
Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt
Jojo und seine Schwester Kayla, die eigentlich Michaela heißt, werden von ihrer Mutter Leonie vernachlässigt. Leonie benimmt sich mehr wie die große Schwester, die nie da ist und viel lieber Drogen nimmt. Zum Glück gibt es noch Mam und Pop, die Großeltern der beiden, bei denen sie in Mississippi leben. Michael ist der Vater von Jojo und Kayla und er ist weiß. Dies offenbart schon eines der großen Themen dieses Buchs: Rassismus. Ein Problem ist nämlich, dass Michaels Eltern keinesfalls damit einverstanden sind, dass er mit Leonie zusammen ist und auch noch Kinder mit ihr hat und dies nur, weil sie schwarz ist.
Aber das war bei weitem nicht das einzige Problem: Immer, wenn Leonie Crystal Meth nimmt, sieht sie ihren verstorbenen Bruder Given. Diese Art von Halluzinationen ist auch für Leonies Drogenkonsum ungewöhnlich, etwas anderes muss nicht mit ihr stimmen. Nach und nach offenbart sich, dass es in Leonies Familie gewisse Gaben gibt, die willkürlich im Stammbaum auftauchen. Manche können Tote sehen und andere müssen einen Menschen nur ansehen und wissen, woran er leidet. Jesmyn Wards Schilderungen von Magie muten beim Lesen jedoch nicht künstlich an, vielmehr fügt sie sich sehr gut in den Roman und erweitert die Perspektive. Das hat mich am meisten erstaunt. Als wäre es ganz normal, dass die Toten vor einem stehen und Geschichten erzählen.
Eine große Geschichte
„Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ ist ein komplexes Buch, das schwerwiegende Fragen stellt. Jesmyn Ward hat mich beeindruckt, indem sie so viele Themen und Aspekte in eine einzige Geschichte gepackt hat. Trotz dieser Komplexität ist die Geschichte sehr fesselnd. Die Autorin schreibt fast schon zärtlich über eine Mutter, die nur sich selbst kennt, Drogen nimmt und ihre Kinder vernachlässigt. Wirklich böse konnte ich Leonie nicht sein, aber mitgelitten mit Jojo und Kayla habe ich sehr. Ebenfalls schwer zu ertragen ist die Armut, die in dieser Familie ein Dauerzustand ist. Aber das muss diese gute Literatur sein, von der immer alle reden: Jesmyn Ward hat mir mit ihrem Buch, die Geschichte einer Familie, die täglich gegen Armut und Rassismus kämpft, nähergebracht.
Die Toten auf dem Rücksitz
Mittlerweile fragst du dich vielleicht, was Jesmyn Wards Buch mit einem Lied von Thees Uhlmann zu tun hat. Es gibt zwischen dem Buch „Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ und dem Lied „Die Toten auf dem Rücksitz“ Parallelen. Am auffälligsten ist wohl, dass es in beiden tatsächlich Tote auf dem Rücksitz gibt. Damit sind keine Leichen gemeint, sondern vielmehr die Geister, die einen durchs Leben begleiten. Manchmal meinen sie es gut und manchmal eben nicht. Sicherlich musst du auch manchmal im Alltag an einen verstorbenen Menschen denken, vielleicht war er dir sehr wichtig und vielleicht fährt er bei deiner nächsten Autofahrt auch auf dem Rücksitz mit.
Aber dann ist da noch dieser hoffnungsvolle Grundton, der sowohl Buch als auch Lied gemeinsam ist. Die Umstände in „Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ sind keinesfalls gut. Es ist alles sehr elend, schlechte Dinge passieren und doch kann es nur besser werden. In diesem Sinne: „Und wunder dich nicht über die Route, die ich nehme. Du wirst sehen, ich werde uns sicher ans Ziel bringen.“
Jesmyn Ward: Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt. Verlag Antje Kunstmann. ISBN: 978-3956142246. 300 Seiten. 22,00 €.
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Hallo 😊
Ein toller Buchtipp, vielen Dank dafür. Die Metapher des Toten auf dem Rücksitz gefällt mir. Ihr haftet sowohl Düsternis als auch Vertrauen an. Sehr schön.
Liebe Grüße,
Sandra
Vielen Dank! 🙂
Ich hab es gerade beendet und bin absolut begeistert. Rassismus, Armut, Voodoo – was für ein Buch. Wie Du sagst: Das Übernatürliche wirkt nie aufgesetzt. Am schwersten war für mich der über Generationen wuchernde Rassismus zu ertragen beim Lesen. Gerade gegen Ende, als Jo-Jo die vielen Stimmen hört. Da bekommt die „Black Lives Matter“-Bewegung nochmal eine andere Perspektive. Tolles Buch!
Schön, dass es dich genauso begeistert hat wie mich. Ich habe dem Buch schon einen Ehrenplatz in meiner „Lieblingsbücher-Sammlung“ gegeben. 🙂
Hach, deine Rezensionen lassen immer wieder meine Wunschliste aus allen Nähten platzen!
Zack – und das Buch landet gleich mal darauf!
Danke für die schöne Buchbeschreibung!
Danke! Auch ohne Provision freue ich mich darüber sehr! <3
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