Die Rosenbaum-Doktrin oder Wolfgang Herrndorf fehlt

Bis Ende August 2013 kannte ich Wolfgang Herrndorf überhaupt nicht. Das änderte sich 2013, weil er zu diesem Zeitpunkt beschloss, sich selbst zu erschießen bevor sein Glioblastom ihn bis zum Tod ans Bett fesseln würde. Erst als Wolfgang Herrndorf tot war, habe ich ihn bemerkt und nun kann ich ihn nicht vergessen. Mit dem Romanfragment „Bilder deiner großen Liebe“ habe ich zumindest in Teilen den Tod meines Opas verarbeitet. Da ist es wenig verwunderlich, dass ich mich auf alles stürze, was den Namen Wolfgang Herrndorf aufgedruckt hat. So zum Beispiel auch auf das Büchlein „Die Rosenbaum-Doktrin“ aus der Auszeitreihe des Rowohlt Verlags.
Die Rosenbaum-Doktrin
Der Großteil der 5 Texte aus der Textsammlung „Die Rosenbaum-Doktrin“ von Wolfgang Herrndorf wurde schon einmal abgedruckt und ist so nicht wirklich neu. Wer also als großer Fan von Wolfgang Herrndorf Überraschungen erwartet, der wird enttäuscht werden. Nichtsdestotrotz habe ich das kleine Buch gern gelesen – 64 Seiten Umfang und auf jeder Seite gibt es den „Sound“ von Herrndorf.
Den Anfang des Buches macht der gleichnamige Text „Die Rosenbaum-Doktrin“, in welchem Wolfgang Herrndorf ein fiktives Interview mit dem fiktiven Kosmonauten Friedrich Jaschke, der angeblich gemeinsam mit Sigmund Jähn für den Weltraumflug ausgebildet wurde. Im Kern des Interviews steht die Rosenbaum-Doktrin, die nach dem Kybernetiker Leonid Rosenbaum benannt wurde, der aber nie existierte.
Die Rosenbaum-Doktrin ist eine Verhaltensanweisung, wenn ein Kosmonaut auf etwas Überirdisches trifft. Friedrich Jaschke drückt dies so aus: „Es gibt nichts Unerklärliches, konkret hieß das, in der sowjetischen Fachsprache: Wenn da oben etwas Unerklärliches auftaucht, also was auch immer – Außerirdische – erschießen wir das mit der Bordkanone und tun so, als hätten wir nichts gesehen. (lacht) Das war die Rosenbaum-Doktrin.“ (Aus: „Die Rosenbaum-Doktrin“ von Wolfgang Herrndorf, Seite 22 f.) Am Ende hat Friedrich Jaschke einige seltsame Erklärungen für Ereignisse der Raumfahrt und als Leser lässt man sich davon nur zu gern einlullen.
Klagenfurt
Neben dem Text „Die Rosenbaum-Doktrin“ hat es mir der Artikel „Klagenfurt“ aus dem Buch besonders angetan. Dieser Artikel wurde zuerst im Juli 2004 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, etwa 2 Wochen nach der Preisvergabe des Bachmann Preises in Klagenfurt 2004. Ebenda wurde Wolfgang Herrndorf für seinen Vortrag von „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ der Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Preises verliehen. Es ist ein herrlich böser Text über den Literaturbetrieb und das Gebaren bei Literaturpreisen und wird umso ironischer, wenn man weiß, dass dieser Text auf der Realität beruht, weil Wolfgang Herrndorf tatsächlich da war und gewonnen hat. Ich habe viel gelacht.
Im Text beschreibt Wolfgang Herrndorf, dass er unbedingt nach Klagenfurt wollte. Warum weiß er nicht und es ist eigentlich auch egal. Viel wichtiger ist, dass alles perfekt sein musste. 6 Monate vor dem Wettbewerb rief Wolfgang Herrndorf beim Organisationskomitee an und wollte wissen, welche Farbe der Hintergrund beim Wettbewerb haben wird, damit er seine Kleidung darauf abstimmen kann. Zweitrangig war für ihn, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal einen Text für den Wettbewerb eingereicht hatte. Er erhielt keine Auskunft. Also machte er weiter mit dem Anfang des Textes. Dafür wurden alle Wettbewerbsbeiträge der letzten Jahre ausgewertet und er kam zu folgendem Entschluss: „Ein guter Beginn war eine Landschaftsbeschreibung, wo ein Schwarm Vögel in schwerem Metaphernsalat über den Himmel flog.“ (Aus: „Die Rosenbaum-Doktrin“ von Wolfgang Herrndorf, Seite 37) Das waren natürlich nicht die einzigen Einfälle von Wolfgang Herrndorf zur Satire des Bachmann-Preises.
Andere Texte
Die anderen Texte im Buch „Die Rosenbaum-Doktrin“ sind nicht schlecht, aber nicht so brillant. Das Buch endet mit einem Out Take aus „Tschick“, der für mich ganz amüsant war, aber zu recht keinen Eingang ins Buch gefunden hat, weil er im Grunde nicht viel zu sagen hat. Nachdem ich die 64 Seiten des Buches in einem Rutsch gelesen hatte, wurde mir wieder schmerzlich bewusst, dass ich einen großen Autor verpasst habe. Er fehlt.
Wolfgang Herrndorf: Die Rosenbaum-Doktrin: und andere Texte. Rowohlt Verlag. ISBN: 978-3499291296. 64 Seiten. 8,00 €
Kommentierfrage: Kennst du Wolfgang Herrndorf und fehlt er dir auch?
Yupp, er fehlt. Wie du schreibst, er hatte seinen sehr eigenen Sound, den ich sehr mochte.
Hmm, das tut er – fehlen. Korrekt. Am meisten hat mich Arbeit & Struktur, sein Blog, den ich quasi live verfolgt hatte, beeindruckt. LG, Bri