Der Horror der frühen Medizin von Lindsey Fitzharris

Bis ich etwa 16 Jahre alt war, wollte ich immer Medizin studieren. Warum das damals so war, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Wahrscheinlich wollte ich Menschen helfen, die Welt besser machen und vor Krankheit und Seuchen retten – was man eben so möchte als Kind und Jugendliche. Mit dem Älter werden verschieben sich dann die Perspektiven und ich habe erkannt, dass die Welt doch komplexer und vielschichtiger ist, als zunächst angenommen. Manche Menschen haben diese Erkenntnis auch und bleiben dann trotzdem bei der Medizin, wie zum Beispiel Joseph Lister, um den es im Buch „Der Horror der frühen Medizin“ von Lindsey Fitzharris geht.
Der Horror der frühen Medizin
Beim Lesen dieses Buchs bin ich unglaublich froh darüber, im Jahr 2019 zu leben und nicht im 19. Jahrhundert. Die Medizin damals war in den meisten Fällen alles andere als heilsam: Ärzte verschrieben ihren Patienten giftige Substanzen wie Arsen, Quecksilber oder setzten sie unter Drogen mit Heroin, um den Entzug von Morphin und Opium zu erleichtern. Auch sehr beliebt war damals der Aderlass, um die Säfte des Körpers wieder ins Gleichgewicht zu bringen – natürlich wussten Ärzte damals nicht, dass sie einen geschwächten Körper damit noch mehr schwächen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab es noch nicht einmal eine Narkose bei Operationen und viele Patienten starben am Schock und Schmerz der Operation. Dies änderte sich erst 1846 als die ersten Ärzte Versuche mit Schwefeläther als Narkosemittel unternahmen.
Das Buch von Lindsey Fitzharris ist eine Romanbiografie über das Leben des Chirurgen Joseph Lister, des Mannes, nach dem die Mundspülung Listerine benannt worden ist. Aber damit hatte er nichts zu tun, denn er hat einen viel bedeutenderen Beitrag zur Entwicklung der Medizin geleistet als die Erfindung einer Mundspülung. Joseph Lister hat als einer der ersten Ärzte die Bedeutung von Hygiene für den Erfolg einer Operation und die Genesung des Patienten erkannt. Es ist aber keineswegs so, dass andere Ärzte die Erkenntnisse Joseph Listers einfach akzeptierten. Viel mehr war das Überzeugen der britischen und amerikanischen Ärzteschaft harte Arbeit und von diesem teilweise recht beschwerlichen Weg erzählt „Der Horror der frühen Medizin“.

Roman, Biografie oder Sachbuch?
So richtig lässt sich Lindsey Fitzharris Buch nicht in eine Kategorie pressen. „Der Horror der frühen Medizin“ liest sich leicht und spannend wie ein Roman, aber Lindsey Fitzharris hält sich sehr genau an die tatsächlichen Fakten aus Joseph Listers Leben. Nebenbei erklärt sie auch die Entwicklungen und Methoden in der Medizin des 19. Jahrhunderts mit viel Hintergrundwissen. Joseph Listers Wirken kann natürlich nicht isoliert betrachtet werden und so spielen auch andere berühmte Wissenschaftler und Ärzte im Buch eine Rolle: Robert Liston, Ignaz Semmelweis, Louis Pasteur, Alexander Flemming, Robert Koch oder Florence Nightingale – um auch mal eine bedeutende Frau in der Medizingeschichte zu nennen. Lindsey Fitzharris kennt sich auf diesem Gebiet hervorragend aus, schließlich hat sie in Medizingeschichte promoviert.
Weil „Der Horror der frühen Medizin“ von Lindsey Fitzharris so spannend und gut geschrieben war, würde ich gern noch mehr Bücher aus dieser Richtung lesen. Es hat mich gefesselt und zu einer kleinen Recherche inspiriert. Womöglich hat Lindsey Fitzharris mich auch ein bisschen an meinen Jugendwunsch erinnert.
Bücher zum Thema Medizingeschichte, die mich interessieren
- Schnitt!: Die ganze Geschichte der Chirurgie erzählt in 28 Operationen von Arnold van de Laar
- Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen: Unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin von Martina Frei
- Die Geschichte der Medizin in 50 Objekten von Gill Paul
- Medizin: Die visuelle Geschichte der Heilkunst
Huhu Janine,
oh ja da kann ich dir nur zustimmen. Wir können wirklich froh sein, dass die Medizin mittlerweile so weit fortgeschritten ist. Ich habe in der Ausbildung auch mehr über die Geschichte der Medizin gelernt, da sträuben sich schon manchmal die Nackenhaare;-)
Liebe Grüße, Petra