Das Fell von Maren Wurster oder Metamorphose

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“
Oh, falsches Buch. Dieser Satz ist der erste Satz in Franz Kafkas „Die Verwandlung“. Er hat also oberflächlich betrachtet gar nichts mit dem Buch „Das Fell“ von Maren Wurster zu tun, aber eben nur oberflächlich. Jedoch genauso wie Gregor Samsa sich in einen Käfer verwandelt, so verwandelt sich die Protagonistin Vic in ein Tier. Aber langsam.
Das Fell
Das Buch „Das Fell“ handelt von Victoria, die mit Karl zusammen ist. Vic freut sich sehr darauf, mit Karl und seiner Tochter Lotta in den Urlaub zu fahren. Aber dann kommt alles anders. Denn Karl setzt sich in den Kopf, dass Lotta eben beide Eltern bräuchte und er lieber mit Lottas Mutter und seiner Ex-Freundin Annika einen richtigen Familienurlaub machen würde. Woher dieses Hirngespinst kam, ich weiß es nicht. Jedenfalls findet Vic das berechtigterweise unerträglich und mehr noch, dass er nicht einmal mehr auf ihre Whatsapp-Nachrichten antwortet. Dann beginnt Vic auch noch, Annikas Profil in einem namenlosen sozialen Netzwerk (wahrscheinlich Facebook) zu stalken.
Die Eifersucht zwischen den Buchdeckeln ist kaum auszuhalten. Das sieht auch Vic so und entschließt sich, mit dem Fahrrad loszufahren – hin zu Karl und Lotta an die Küste. Während Vic auf dem Fahrrad durch die Landschaft strampelt und interessante Personen trifft, verändert sich auch etwas in Vic selbst: Sie wird zum Tier.
Die Metamorphose
Während Gregor Samsa, nach einer Interpretation von Heinz Hillmann, unter den Zwängen seines Berufes und seiner Familie leidet und sich deshalb in einen Käfer verwandelt, wird Vic von ihrer Eifersucht und unterfüllten Liebe zu Karl geplagt. Denn eigentlich ist Karls Verhalten doch nichts anderes als ein feiges Schlussmachen ohne es Vic gegenüber auszusprechen. Gregor Samsa und Vic haben keinerlei Gemeinsamkeiten außer ihre Verwandlung zu etwas Nichtmenschlichem. Gregor Samsa stirbt am Ende seiner Geschichte, weil die Familie nicht länger mit ihm zusammenleben möchte, aber Vic wird durch ihre Verwandlung nicht geschwächt, sondern gestärkt. Auf ihren langem Roadtrip wachsen ihr Borsten, es juckt und krabbelt fürchterlich, aber dies alles nur, damit sie im entscheidenden Moment zum Sprung bereit ist.
Im Nachhinein ist Maren Wursters Idee von Vic und ihrer Metamorphose genial, aber beim Lesen empfand ich dies überhaupt nicht so. „Das Fell“ hat mich richtig gelangweilt: Keine Stelle des Buches war spannend oder in irgendeiner Weise überrascht. Dafür hat der Klappentext eigentlich schon die ganze Geschichte vornweg genommen. Der Roadtrip ist nur eine fade Erinnerung an eine richtige Heldenreise. Vic hat nichts auszustehen und muss auch nicht an irgendwelchen Prüfungen wachsen bevor sie endlich gereift bei Karl im Ferienhaus ankommt. Schöne Idee, aber als Leser konnte mich „Das Fell“ nicht überzeugen.
Maren Wurster: Das Fell. Hanser Berlin. ISBN 978-3446256859. 160 Seiten. 18,00 €.
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