Blanca von Mercedes Lauenstein oder wilde Reise durch die Nacht

Der Alltag kotzt mich an. Zum Glück nicht immer, aber manchmal. Manchmal wäre ich gern so frei wie Blanca und ihre Mutter, die nirgends zuhause sind. Sie reisen ständig, übernachten dort, wo es sich gerade anbietet und haben auch keinen festen Job. Vielmehr lässt sich Blancas Mutter mit ihrem Charme immer etwas einfallen, um noch ein bisschen Geld zu verdienen und wenn sie Schnaps in kleine Fläschchen abfüllt und den Leuten als Tropfen gegen die Einsamkeit verkauft. Aber die Leute glauben daran und sie freuen sich über die klugen Ratschläge einer Frau, die so gar nichts mit ihrem Leben gemein hat. Beim Lesen des Buchs „Blanca“ von Mercedes Lauenstein hätte ich auf manchen Seiten alles gegeben, um nur eine Nacht mit Blanca und ihrer Mutter unterwegs sein zu können – aber irgendwie hatte ich ja auch meine wilde Reise durch die Nacht.
„Blanca“ von Mercedes Lauenstein
Was ist das eigentlich für ein Name? Blanca? Es bedeutet weiß auf Spanisch. Wie das Nichts, wie eine leere unbeschriebene Tafel. Auf althochdeutsch heißt es glänzend und schön. Ich habe mir Blanca auch als schönes junges Mädchen vorgestellt, die keine Ahnung von ihrer Schönheit hat. Ein bisschen habe ich sie mir vorgestellt wie Isa aus Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“. „Isa heißt sie, und Isa wird den Menschen begegnen – freundlichen wie rätselhaften, schlechten wie traurigen.“ Genauso ist es bei Mercedes Lauenstein mit Blanca – sie begegnet auf ihrer Reise Menschen.
Blanca ist allein unterwegs, abgehauen von ihrer Mutter, weil sie es nicht mehr ertrug. Blanca ertrug nicht mehr die Kapriolen ihrer Mutter, ihre Ansichten und Ratschläge. Nach einem heftigen Streit, bei dem Blanca fast von einer Auflaufform erschlagen wird, läuft sie weg. Ihr Ziel der glücklichste Ort ihrer Kindheit: Das Haus von Toni und dessen Vater Karl auf einer kleinen italienischen Insel. Also packt sie ein paar Wechselklamotten und ihre gesamten Ersparnisse in einen Rucksack. Sie sucht eine Zukunft für sich ohne die billigen Zimmer, bei denen Blanca und ihre Mutter immer wieder unterkommen.
Nirgends ein Zuhause zu haben, ist mein Zuhause. Ich bin schon da. – Seite 247
Aber auch der Weg zu dieser kleinen Insel ist wild und aufregend. Beispielsweise wenn Blanca einen älteren Mann verführt und nicht einmal genau weiß warum oder sie Essensreste von Tellern in Restaurants klauen muss, weil gerade all ihr Geld alle ist. Unvergesslich ist auch die Höllenfahrt mit einem Taxifahrer, der absolut wahnsinnig geworden ist und der Moment, als ein zahnloser Bauer Blanca fragt, ob sie ihn heiraten möchte.
Nichts als Freiheit
So viel Freiheit bedeutet allerdings auch, nie ein Zuhause zu haben. Keine Geborgenheit, keine Normalität, keinen schützenden Ort. Keine Reise führt ans Ziel und nie gibt es ein Ankommen, sondern immer nur ein Gehen. Klar, ist das aufregend, aber es ist auch traurig. Besonders, wenn Blanca sich nichts sehnlicher wünscht als endlich an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren, wo sie einmal so etwas wie ein Zuhause hatte. Sie ist so sehr davon überzeugt, dass dieser Ort noch genauso existiert wie vor 10 Jahren und Karl und Toni für immer auf sie warten. Karl und Tonis Liebe hat Blanca in Gedanken konserviert. Es ist ironisch, dass Blanca liebend gern ihre Freiheit für ein bisschen Normalität aufgeben möchte. In den Szenen größter Einsamkeit hätte ich dieses wilde Kind am liebsten in den Arm genommen. Genau dann, wenn Blanca wieder vor Kummer „The Scientist“ von Coldplay singt, hätte ich sie gern bei mir wohnen lassen, wenn es nur geholfen hätte.
Und wenn die große Traurigkeit kommt, sage ich Hallo und ertrage sie. – Seite 247
In diesem Sinne bin ich wohl doch froh, dass ich mit dieser großen Freiheit nicht leben muss und stattdessen ein normales Leben habe. So kann ich die wilde Reise durch die Nacht mit Blanca und ihrer Mutter genießen.
Mercedes Lauenstein: Blanca. Aufbau Verlag. ISBN: 9783351037017. 256 Seiten. 20,00 €.