Alles was bleibt von Sue Black oder dem Tod die Hand reichen

Bisher hatte ich nicht viele Berührungspunkte mit dem Thema Tod. Eigentlich beschränken sich meine unmittelbaren Erfahrungen auf den Tod meiner Großeltern und das war mitunter schon kaum zu ertragen. Und auch jetzt noch – Jahre später – gibt es Situationen, in denen ich Oma und Opa sehr vermisse. Das Gefühl des Verlusts ist nicht verschwunden, es ist nur anders geworden. Noch dazu habe ich auch nie ihre Leichen gesehen oder überhaupt die Leiche von irgendjemanden. Ganz anders geht es da wohl Sue Black, einer forensischen Anthropologin aus Großbritannien. Sie sieht täglich Leichen und manche ihrer Erfahrungen würden mich womöglich traumatisieren. In „Alles was bleibt“ schreibt sie über ihre langjährige Berufserfahrung und ihre Erlebnisse als forensische Anthropologin. Das Buch ist eine Mischung aus Biografie und Sachbuch.
Alles was bleibt
Schon der Titel des Buchs hätte nicht passender gewählt werden können: „Alles was bleibt“. Aber was bleibt nach dem Tod? Häufig eine Leiche und die Erinnerungen an den Toten. Und beiden Themen widmet sich Sue Black. Das mochte ich besonders an diesem Buch. Es geht nicht nur um die knallharten Fakten, sondern auch um den Menschen, der einmal gelebt hat und jetzt tot ist. Die Autorin schreibt also auch über das Erleben des Todes ihrer Verwandten und wie sie damit umgegangen ist. Es geht auch um die Bedeutung von Sterbehilfe und die verschiedenen Meinungen und um den letzten Willen von Toten.
Ebenfalls sehr interessant waren für mich die Ausführungen von Sue Black über Körperspender, also Personen, die ihren Körper für wissenschaftliche Zwecke spenden. Noch immer werden Körperspenden für die Ausbildung von jungen Medizinern benötigt – es geht also nicht alles am Computer. In diesem Zusammenhang berichtet Sue Black von ihrem eigenen Sezierkurs im Studium. In diesen Monaten baute sie eine regelrechte Bindung zu ihrer Sezierleiche Henry auf. Henry war natürlich nicht sein richtiger Name, denn Körperspender bleiben anonym. Auch nach vielen Jahren im Beruf empfindet sie tiefe Dankbarkeit gegenüber Henry.
Die Arbeit einer forensischen Anthropologin
Aber natürlich ist nicht alles schön am Beruf der forensischen Anthropologin. Hauptsächlich sind forensische Anthropologen damit beschäftigt, die Identität von Menschen festzustellen. Sowohl von Opfern als auch von Tätern. Schließlich kann ein Verbrechen nur aufgeklärt werden, wenn es zur Leiche auch eine Geschichte, eine Person gibt. Manchmal werden Leichen dann auch noch zerstückelt, weil der Täter Panik bekommt und merkt, dass er die Leiche nicht im Ganzen vom Tatort wegtransportieren kann. Gerade Täter, die zum ersten Mal und im Affekt gemordet haben, neigen dann dazu, die Leiche in sechs Stücke zu zerteilen und das passiert oft nicht gerade elegant, weil dabei Knochen zersägt werden müssen. Profis gehen da ganz anders vor und zerteilen die Leiche an den Gelenken ohne allzu große Sauerei. Beim Lesen von „Alles was bleibt“ muss man solche Informationen erstmal setzen lassen. Alles, was Sue Black schreibt, ist furchtbar interessant und spannend, aber manchmal eben auch sehr krass.
Am schlimmsten zu verarbeiten war für mich das Kapitel über Sue Blacks Einsatz im Kosovo, bei dem sie Kriegsverbrechen aufklärte. Dabei ging es nicht um einzelne Tote, sondern um regelrechte Massengräber. Heftige Kost. Sue Black und ihr Team hatten dabei die Aufgabe, die Identität der Leichen festzustellen und die Überreste dann an die Familie zu übergeben – insofern es noch eine Familie gab. Ähnliches Leid erlebte Sue Black dann, als sie Menschen identifizierte, die beim Tsunami in Thailand umgekommen waren.
Eines wird durch „Alles was bleibt“ aber sehr deutlich: Sue Black ist eine bewundernswerte Frau mit enormem Wissen. So schrecklich ihre Erfahrungen manchmal sind, so herzlich und tröstend sind die Worte von Sue Black. Ich für meinen Teil konnte durch „Alles was bleibt“ dem Tod etwas mehr die Hand reichen.
Weitere Bücher über die Arbeit von Forensikern
- Anatomie des Verbrechens: Meilensteine der Forensik von Val McDermid
- Die Zeichen des Todes: Neue Fälle von Deutschlands bekanntestem Rechtsmediziner von Michael Tsokos