Alles begann mit einem Starbucks-Becher: Interview mit Linus Giese

Zum ersten Mal gesehen habe ich Linus Giese auf der Leipziger Buchmesse. Wir hatten damals nur wenige Minuten Zeit zum Reden und haben nicht über Bücher, sondern über Hunde gesprochen. Seit dem kreuzen sich unsere Wege immer mal wieder und ich bin froh, dass ich dir heute dieses Interview zeigen kann. Linus Giese ist der Buchblogger hinter Buzzaldrins Bücher, Buchhändler in der Buchbox und er ist trans.
Leben und Beruf von Linus
Wie kam es, dass du im Herbst nach Berlin gezogen bist?
Ich wollte schon immer gerne nach Berlin, weil hier viele Freunde und Freundinnen wohnen und ich die Stadt sehr mag. Als ich gesehen habe, dass die Buchbox jemanden sucht, habe ich mich direkt beworben und es hat geklappt.
Warum bist du eigentlich Buchhändler geworden?
Genau genommen bin ich ja gar kein Buchhändler. Ursprünglich habe ich mal Germanistik studiert, nach meinem Volontariat fiel es mir dann schwer, einen Einstieg in die Verlagswelt zu finden. Da ich gerne lese und Freude am Kundenkontakt habe, kam ich dann auf die Idee, als Buchhändler quereinzusteigen.
Wie passt das mit dem Buchhändler sein und dem Buchbloggen gerade für dich zusammen?
Oh, schwer! Ich arbeite jetzt seit Anfang November vierzig Stunden im Buchladen und muss schon feststellen, dass die Zeit fürs Bloggen und Lesen ganz schön knapp ist. Ich freue mich deshalb über jede freie Minute, die ich in meinen Blog stecken kann.
Was sollte ein Buchblogger deiner Meinung nach niemals tun?
Ach, so etwas finde ich immer ganz schwer zu beantworten: Aus meinen Erfahrungen kann ich sagen, dass es nie eine gute Idee ist, sich zu viele Rezensionsexemplare aufzuhalsen. Ich lief irgendwann Gefahr, den Spaß zu verlieren, weil ich mich nur noch gezwungen sah, die Bücherberge abzuarbeiten.
Oder was sollte er unbedingt tun?
Authentisch sein! Die eigene Begeisterung teilen, aber – wenn nötig – auch Kritik formulieren. Was mir persönlich ganz wichtig ist, ist auch der Kontakt zu meinen Lesern und Leserinnen – ich versuche mir, so häufig wie möglich die Zeit dafür zu nehmen, Kommentare und Mails zu beantworten.
Was war das schönste Erlebnis für dich als Buchblogger?
Da gab es so viele! Unsere gemeinsame Bloggerreise nach Zürich fällt mir als eines der ersten Dinge ein. Ich glaube, ich kann aber gar nicht wirklich sagen, dass es ein Erlebnis gab, das besonders heraussticht. Das Schönste an den vergangenen sieben Jahren als Blogger ist für mich, dass sich aus Kontakten zu anderen Lesebegeisterten schöne und enge Freundschaften entwickelt haben, die über die gemeinsame Leidenschaft für Bücher längst hinausgeht.
Warum machst du so gern Treppenfotos?
Dafür gibt es keinen wirklichen Grund – mir macht das Fotografieren von Architektur schon seit Jahren Freude und irgendwann hat sich die Begeisterung vor allem auf Treppenhäuser und Treppenaugen fokussiert. Mein erstes Treppenbild entstand eher aus Langeweile und ohne große Erwartungen. Als ich mir dann später das Foto angeschaut habe, war ich begeistert – und seitdem laufe ich mit offenen Augen durch die Stadt, immer auf der Suche nach neuen Treppen.
Was Transgender für Linus bedeutet
Im Herbst hast du ein Foto von einem Starbucks-Becher mit dem Namen Linus gepostet. Das war der Zeitpunkt, an dem ich bemerkt habe, dass du trans bist. Wie viel Überwindung hat es dich gekostet, so an die Öffentlichkeit zu gehen? Hattest du diesen Post geplant oder war das eher ein spontaner Impuls?
Genau. Es fing alles mit dem Starbucks-Becher an, ich habe ihn einen Tag vor der Buchmesse gepostet, weil ich gedacht habe, dass es keinen besseren Ort und keine bessere Zeit gibt, um den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Es hat mich wahnsinnig viel Überwindung gekostet, ich weiß noch, dass ich das Foto gepostet habe und danach einen halben Tag krank im Bett lag und mich nicht traute, in die Antworten zu schauen. Als ich am nächsten Tag auf die Messe ging, hatte ich meinen Facebookaccount noch immer nicht wieder geöffnet.
Welche Auswirkungen hat es auf deinen Alltag, dass du trans bist?
Die größte Auswirkung ist wohl, dass ich es immer wieder thematisieren muss – sei es im Buchladen, beim Arzt oder beim Frisur. Ich erlebe immer wieder Situationen, in denen ich misgendert werde und in denen ich – wenn ich die Kraft dazu habe – das richtigstelle. In einem Artikel habe ich mal gelesen, das Coming-Out für eine trans Person sei wie Duschen: Man muss es fast täglich tun.
Wie gehst du mit Menschen um, die dich angreifen, weil du trans bist?
Ich nehme es mir nicht zu Herzen – und wenn es strafrechtlich relevant ist, dann bringe ich es Anzeige. Für mich ist es eine ganz große Hilfe, online über das sprechen zu können, was ich erlebe und was mich bewegt. Deshalb ärgern mich die Menschen, die sagen, dass ich mich nicht ärgern soll, fast mehr, als die, die mich angreifen. Sichtbarkeit ist so wichtig – und wenn ich nur einem anderen Menschen durch meine Postings helfen kann, werde ich weiter posten.
Was gibt dir am meisten Kraft?
Freunde und Freundinnen, die mich unterstützen. Kraft gibt mir aber auch meine Arbeit, wo ich so akzeptiert werde, wie ich bin – ich habe dort einen Ort, an den ich täglich gehen kann, ohne Scham und ohne mich zu verstecken.
Was würdest du gern in der Gesellschaft verändern?
Wo soll ich da anfangen? Am meisten wünsche ich mir, dass das Denken in Geschlechterrollen endlich aufhört – für viele ist es gerade noch ganz schwierig zu verstehen, dass ich Brüste und eine hohe Stimme habe, aber Linus heiße und mit einem männlichen Pronomen angesprochen werden möchte.
Was nimmst du dir für die Zukunft vor?
Ich hoffe, ich habe auch in Zukunft, die Kraft dafür, über mich und meine Identität öffentlich zu sprechen. Das ist mein größter Wunsch – ansonsten schaue ich einfach von Tag zu Tag und versuche alles zu genießen, was mir passiert.
Hast du vielleicht einen Buchtipp für jemanden, der sich mit dem Thema Transgender beschäftigen will, aber bisher noch keine Berührungspunkte hat?
Ich plane gerade einen Blogbeitrag zu dem Thema und hoffe, dass ich ihn bald veröffentlichen werde. Was ich spontan empfehlen würde: Teddy Tilly von Jessica Walton – das ist ein wunderbares Bilderbuch zum Thema Anderssein und ein toller Einstieg in die Thematik.
Über die Literatur
Welche Bücher empfiehlst du immer wieder und warum?
Ich empfehle immer wieder gerne die Bücher von Karl Ove Knausgard, weil ich noch nichts anderes gelesen habe, dass mich so sehr dazu einlädt, über mich, meine Familie und mein eigenes Leben nachzudenken.
Was war das blödeste Buch, welches du bisher gelesen hast?
Ach, ich weiß nicht, ob es wirklich blöde Bücher gibt – ich habe aber auf jeden Fall schon Bücher gehabt, die ich als unbefriedigend empfand oder als unnötig. Zuletzt erging es mir wohl so mit „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara, welches ich in mehrerer Hinsicht misslungen fand.
Hast du dich schon einmal für ein Buch geschämt?
Nein! Ich finde es furchtbar, sich für Dinge zu schämen, an denen man Spaß hat!
Die letzte Frage: Welches Buch sollte ich unbedingt lesen?
„In einer Person“ von John Irving – es gibt kaum ein besseres Buch über das Suchen und Finden der eigenen Identität. John Irving erzählt darin von William Abbotts Weg zu sich selbst und zu seiner eigenen sexuellen Identität. Es dauert lange, bis William nicht mehr von sich selbst denkt, dass er “für die Falschen schwärmt”, sondern sich selbst als jungen bisexuellen Mann wahrnimmt. Dieser Weg, den er gehen muss, wird erschwert von einer Familie, in der alle Geheimnisse unter den Teppich gekehrt werden und Schweigen statt Offenheit und Ehrlichkeit vorherrscht.
Vielen Dank für das Interview!
Das Foto von Linus Giese hat Bob Sala geschossen.
Ein ganz wunderbares Interview. Hoffe, ich treffe euch beide auf der Buchmesse. 😊
Liebe Grüße
Steffi
Liebe Janine, lieber Linus,
ein sehr gelungenes Interview, toll!
Es ist schön, wenn man die Authenzität und Tiefe der Personen spürt.
Liebe Grüsse
Isabel
Ein sehr spannendes Interview, vielen Dank dafür!
Ich freue mich sehr, dass euch das Interview so gut gefällt! 🙂
Ein interessantes Interview, danke Linus und Janine! Ich finde es wirklich stark Linus, wie du mit den Hater Kommentaren umgehst und denke, dass dein Weg bestimmt auch anderen Menschen hilft.
Viele Grüße
Melli